Meade Glenn
gelaufen, um mich zu holen. « Er strich dem Kind anerkennend über den Kopf und blickte dann wieder hoch.
» Erzählen Sie mir etwas über Ihren Gatten, Mrs. Volkmann.
Hatte er dieses Problem schon immer? «
» Hat Doktor Mansfield es Ihnen denn nicht gesagt? «
Der Arzt schüttelte den Kopf. » Nein. Er ist in Urlaub gefahren.
Ich bin nur seine Vertretung. Aber ich wäre gern vorbereitet, falls so etwas wieder auftritt. «
Sie hatten den Strand erreicht, und das Rauschen der großen Wellen, die sich an den Felsen und Steinen des Ufers brachen, dröhnte ihnen in den Ohren. Der Arzt hockte sich auf eine Düne.
Die Mutter setzte sich neben ihn. Sie kramte eine Packung Zigaretten aus der Handtasche und zündete sich nach mehreren vergeblichen Versuchen gegen den starken Wind eine an. Der Junge bemerkte, wie blaß und erschöpft sie aussah.
» Er hat es schon lange. Es kommt und geht. «
» Wovon wird es ausgelöst? «
» Durch einen Zeitungsartikel. Etwas im Radio oder im Fernsehen. Manchmal einfach nur vom Wetter oder der Jahreszeit. Dann wird es ihm einfach zu viel, und er versinkt darin wie ein Stein. «
Der Arzt schien verwirrt. » Das verstehe ich nicht … Was ist der Grund dafür, Mrs. Volkmann? «
Die Wellen rauschten so laut, daß der Junge die Stimme seiner Mutter nicht hören konnte, weil sie im Dröhnen der Brandung und dem hellen Klappern des Strandkieses unterging. Aber er sah das entsetzte Gesicht des Arztes, als seine Mutter aufgehört hatte zu reden.
» Meine Güte … Ich hatte ja keine Ahnung. Wie entsetzlich, wirklich schrecklich. « Er schien lange um die passenden Worte zu ringen. » Ich nehme an, Ihr Mann wurde bereits von den entsprechenden Fachleuten untersucht? « fragte er schließlich.
» Man kann Erinnerungen zwar rationalisieren, Herr Doktor, aber man kann sie nicht auslöschen. Lassen Sie sich das von jemandem sagen, der es genau weiß. «
» Aber Sie sind damit fertig geworden. Ihre Erfahrungen müssen doch gewiß genauso traumatisch gewesen sein. «
Der Junge sah, wie seine Mutter den Kopf schüttelte. » Ich bin damit fertig geworden, das stimmt schon. Aber meinem Ehemann haben sie damals Unaussprechliches angetan. «
» Es tut mir leid, bitte verzeihen Sie mir. Ich wünschte nur, ich könnte etwas tun. «
» Es gibt nichts, was Sie tun könnten, glauben Sie mir. Aber ich danke Ihnen für Ihr Mitgefühl. « Der Blick ihrer funkelnden braunen Augen richtete sich auf Joseph. » Der Junge hat viel geholfen. « Sie wandte sich wieder an den Arzt. » Daß wir ein Kind bekommen haben, hat uns beiden geholfen. «
Der Arzt erwachte aus seiner Versunkenheit und wirkte plötzlich sehr jung. Die Wellen schlugen wieder lärmend gegen das felsige Ufer, und alle drei schwiegen lange. Schließlich warf der Mann der Mutter des Jungen einen verlegenen Blick zu, als bereite es ihm Schwierigkeiten, die nächsten Worte auszusprechen.
» Als ich die Konzerthalle angerufen habe, meinte der Direktor, daß Sie vermutlich Ihren Auftritt heute abend absagen müßten. Es muß fürchterlich schwierig sein. Mit Ihrem Ehemann, meine ich. «
» Eigentlich nicht. Wenn so etwas passiert, kommen Joseph und ich damit schon zurecht. «
» Ich habe Sie einmal in London spielen hören. Mir hat Ihre Darbietung außerordentlich gut gefallen, Mrs. Volkmann. «
» Das ist sehr freundlich von Ihnen. Vielen Dank. Auch dafür, daß Sie sich um meinen Mann gekümmert haben. «
Der Arzt stand langsam auf und klopfte sich den Sand von der Hose. » Ich fahre nun wohl wieder. Sollte sich sein Zustand wieder verschlechtern, geben Sie ihm zwei von diesen Tabletten. « Er zog ein Fläschchen mit Pillen aus der Tasche und reichte es ihr. » Die sollten ihm mindestens acht Stunden helfen.
Und rufen Sie mich bitte an, wenn Sie mich brauchen. Guten Tag, Mrs. Volkmann. «
Der Arzt schüttelte ihr die Hand, und der Junge schaute ihm nach, als er zu seinem Wagen ging. Er stieg ein und setzte über den ausgefahrenen Sandweg zurück.
Der Junge wandte sich seiner Mutter zu und sah, wie sie die Zigarette in die Wellen warf. Sie starrte traurig aufs Meer hinaus.
» Mama … «
» Was hast du, mein Schatz? «
» Was haben diese Männer Papa angetan? «
Seine Mutter blickte ihn an. Ihre braunen Augen füllten sich plötzlich mit Tränen, und sie zog ihn dichter an sich. » Etwas sehr Schlimmes, Joseph. Deinem Papa ist etwas sehr Schlimmes passiert. Deshalb müssen wir ihm immer helfen. Und deshalb braucht er unsere Liebe
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