Medicus 02 - Der Schamane
legten es dem Oberaufseher nahe, ihn auszuzahlen und ziehen zu lassen, um eine Auseinandersetzung zu vermeiden.
Rob J. hatte bei der Eisenbahn gerade genug verdient, um sich eine langsame alte Stute, einen zwölfkalibrigen Vorderlader, eine kleinere, leichtere Flinte für die Jagd auf Niederwild, Nadeln und Faden, eine Angelrute mit Haken, eine verrostete eiserne Bratpfanne und einen Hirschfänger zu kaufen. Er taufte das Pferd Monica Grenville, zu Ehren einer hübschen, nicht mehr jungen Frau, einer Freundin seiner Mutter, die er in den fiebrigfeuchten Träumen seiner Knabenzeit bestiegen hatte. Dank der Stute konnte er seine Reise in den Westen so fortsetzen, wie er es sich vorgestellt hatte. Nachdem er bemerkt hatte, dass die Flinte nach rechts zog, schoss er mühelos Wild, er angelte, wo sich Gelegenheit bot, und verdiente sich Geld oder Essen, wo immer er zu Leuten kam, die einen Arzt brauchten.
Die Weite des Landes mit den Bergen, Tälern und Ebenen verblüffte ihn. Nach ein paar Wochen war er überzeugt, dass er ewig auf seiner gemächlich trottenden Monica Grenville in den Sonnenuntergang hinein weiterziehen konnte.
Die Arzneimittel gingen ihm aus. Es war ohnedies schwierig, ohne die wenigen unzureichenden Linderungsmittel, die es damals gab, zu operieren, aber er hatte weder Laudanum noch Morphium, noch ein anderes Medikament und musste sich auf die Schnelligkeit seiner Chirurgenhände und den billigen Fusel, den er unterwegs kaufen konnte, verlassen. Fergusson hatte ihm einige hilfreiche Kniffe beigebracht, an die er sich jetzt erinnerte. Da er keine Nikotintinktur hatte, die bei Hämorrhoidenoperationen oral verabreicht wurde, um den Schließmuskel zu entspannen, kaufte er die stärksten Zigarren, die er bekommen konnte, und steckte sie bei Bedarf dem Patienten in den After, bis das Gewebe das Nikotin des Tabaks absorbiert hatte und die Muskelerschlaffung eintrat. In Titusville passierte es, dass ein älterer Herr dazukam, als er eben einen Patienten versorgte, der über eine Wagendeichsel gebeugt und mit einer Zigarre im Hintern dastand. »Haben Sie Streichhölzer, Sir?« fragte ihn Rob J. Später in der Gemischtwarenhandlung hörte er dann, wie der Mann seinen Freunden mit ernster Miene berichtete: »Ihr glaubt nicht, wie die die Zigarren geraucht haben.« In einem Wirtshaus in Zanesville sah er seinen ersten Indianer. Eine herbe Enttäuschung. Ganz im Gegensatz zu James Fenimore Coopers großartigen Wilden bettelte hier ein schwabbeliger, grämlicher Säufer mit Rotz im Gesicht um Getränke und ließ sich beschimpfen. »Vermutlich Delaware«, sagte der Wirt, als Rob ihn nach dem Stamm des Indianers fragte. »Oder vielleicht Miami. Oder Shawnee.« Er zuckte verächtlich mit den Achseln. »Is’ doch egal. Die armen Schweine schau’n für mich alle gleich aus.«
Einige Tage später lernte Rob in Columbus einen kräftigen, schwarzbärtigen jungen Juden namens Jason Maxwell Geiger kennen, einen Apotheker mit einem reichhaltigen Lager an Arzneien. »Haben Sie Laudanum? Haben Sie Nikotintinktur? Kaliumjodid?« Was er auch verlangte, Geiger antwortete immer mit einem Lächeln und einem Nicken, und Rob inspizierte glücklich die Töpfe und Gläser. Die Preise waren nicht so hoch, wie er befürchtet hatte, denn Geigers Vater und seine Brüder besaßen in Charleston eine Arzneimittelfabrik, und der Apotheker erklärte Rob J., dass er alles, was er nicht selbst herstellen könne, zu einem günstigen Preis bei seiner Familie bestelle. Rob J. deckte sich deshalb mit einem umfangreichen Vorrat ein. Als der Apotheker ihm anschließend half, die Einkäufe zu seinem Pferd zu tragen, fiel ihm das große, dick eingewickelte Musikinstrument auf, und er fragte seinen Besucher sofort: »Das ist doch bestimmt ein Cello, nicht?« »Eine Gambe«, erwiderte Rob und bemerkte, dass der Mann das eingewickelte Instrument - wenn nicht neugierig, so doch mit unübersehbar wehmütigem Verlangen - anschaute. »Wollen Sie sie sehen?« »Sie müssen sie in mein Haus bringen und meiner Frau zeigen«, erwiderte Geiger eifrig. Er führte ihn zu dem Wohnhaus hinter der Apotheke. Lillian Geiger hielt sich ein Geschirrtuch vor das Oberteil ihres Kleides, doch die Milchflecken vom Überschuss ihrer Brüste waren Rob J. nicht entgangen. In einer Wiege schlief die zwei Monate alte Tochter Rachel. Das Haus roch nach Mrs. Geigers Muttermilch und frisch gebackener Challa. Im dunklen Wohnzimmer standen ein Rosshaarsofa, dazugehörige Sessel und
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