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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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sie lange über den Karten und zeichneten freundschaftlich disputierend die beste Route ein. Nachdem Rob J. zu Bett gegangen war, blieb Jay Geiger noch auf und schrieb bei Kerzenlicht die Noten einer Mazurka von Chopin ab. Sie spielten sie am Morgen nach dem Frühstück. Die beiden Männer beugten sich noch einmal über die Karten. Rob J. versprach, falls Illinois sich wirklich als so gut erwies, wie Geiger glaubte, sich dort niederzulassen und seinem neugewonnenen Freund sofort zu schreiben, dass er die Familie in den Westen bringen könne.

Zwei Parzellen
    Illinois war von Anfang an interessant. Rob erreichte den Staat im Spätsommer, als das zähwüchsige Grün der Prärie von den langen Sonnentagen bereits trocken und ausgebleicht war. In Danville sah er zu, wie Männer Wasser aus Salzquellen in großen, schwarzen Kesseln einkochten, und als er sie wieder verließ, hatte er ein Paket mit reinem Salz bei sich. Die Prärie dehnte sich weit, hier und dort erhoben sich flache Hügel. Der Staat war gesegnet mit Süßwasser. Rob kam zwar nur an wenigen Seen vorbei, sah aber immer wieder Sümpfe. Aus ihnen speisten sich Bäche, die sich schließlich zu Flüssen vereinigten. Er erfuhr, dass die Bewohner von Illinois, wenn sie vom Land zwischen den Flüssen sprachen, meistens die Südspitze des Staates zwischen dem Mississippi und dem Ohio meinten. Hier hatten die beiden großen Flüsse einen tiefen, nährstoffreichen Boden angeschwemmt. Die Leute nannten die Region Ägypten, weil sie sie für so fruchtbar hielten wie das sagenumwobene Land am Nildelta. Auf Jay Geigers Karten entdeckte Rob J. eine Reihe von »Kleinägpyten« zwischen den Flüssen in Illinois. Der Mann hatte schon während der kurzen Begegnung Rob J.s Achtung erworben, und deshalb ritt der junge Arzt weiter auf die Region zu, die Jay ihm als die für eine Ansiedlung günstigste ausgewiesen hatte.
    Er brauchte zwei Wochen, um Illinois zu durchqueren. Am vierzehnten Tag führte ihn der Pfad, auf dem er ritt, in ein Waldstück, wo ihn willkommene Kühle und der Geruch feuchter, wuchernder Pflanzen empfingen. Er hörte lautes Wasserrauschen, folgte der schmalen Spur und kam kurz darauf am Ostufer eines großen Flusses aus dem Wald, der, wie er vermutete, der Rock River, der Felsenfluss, sein musste. Trotz der Trockenzeit war die Strömung stark, und die großen Felsen, die dem Fluss seinen Namen gaben, ließen das Wasser weiß aufschäumen. Auf der Suche nach einer Furt ritt er am Ufer entlang und kam schließlich zu einem tieferen, ruhigeren Abschnitt. Ein dickes, an zwei riesigen Baumstämmen befestigtes Stahlseil überspannte den Fluss. Von einem Ast baumelten ein eiserner Triangel und ein Stahlstab, daneben ein Schild mit der Aufschrift: Holden’s Crossing. Nach der Fähre bitte läuten. Er schlug kräftig und, so schien es ihm, ziemlich lange den Triangel, bis er am gegenüber liegenden Ufer einen Mann gemächlich zu der Stelle schlendern sah, an der ein Floß festgemacht war. Zwei dicke, senkrechte Pfosten auf dem Floß endeten in großen Eisenringen, durch die das zwischen den Ufern gespannte Stahlseil lief. Als die Fähre die Flussmitte erreichte, hatte die Strömung das Seil bereits ein gutes Stück Flussabwärts gezogen, so dass der Mann sein Gefährt in einem Bogen und nicht in gerader Linie auf das andere Ufer zulenkte. Das dunkle, ölige Wasser war in der Mitte zu tief zum Staken, und der Mann zog das Floß deshalb an dem Stahlseil vorwärts. Der Fährmann sang, und sein kräftiger Bariton klang klar und deutlich zu Rob J. herüber.
    Sein Lied hatte viele Strophen, und noch bevor sie zu Ende waren, konnte der Mann wieder staken. Als die Fähre näher kam, erkannte Rob einen muskulösen Mann Mitte Dreißig. Er war einen Kopf kleiner als Rob und sah aus wie ein typischer Einheimischer: schwere Stiefel an den Füßen, eine braune Hose aus grobem Halbwollzeug, die für die Jahreszeit zu warm war, ein blaues Baumwollhemd mit verstärktem Kragen und ein schweißfleckiger breitkrempiger Lederhut. Er hatte eine lange, schwarze Haarmähne, einen Vollbart und ausgeprägte Wangenknochen, dazu eine schmale, geschwungene Nase, die seinem Gesicht etwas Grausames verliehen hätte, wenn da nicht seine blauen Augen gewesen wären, die fröhlich und einladend strahlten. Je näher er kam, desto deutlicher spürte Rob J. einen gewissen Argwohn in sich, die Erwartung einer gewissen Affektiertheit, die der Anblick einer vollkommen schönen Frau oder eines zu

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