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Medicus 02 - Der Schamane

Titel: Medicus 02 - Der Schamane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Noah Gordon
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Chloroform auf die Maske und hielt sie Alex so lange vors Gesicht, wie er glaubte, es ohne Risiko tun zu können. Bitte, Gott, steh mir bei! dachte er.
    »Alex! Kannst du mich hören?« Shaman kniff ihn in den Arm, schlug ihm leicht auf die Wange, doch sein Bruder schlief tief. Shaman brauchte nun nicht mehr nachzudenken oder zu planen. Er hatte das bereits lange getan. Er zwang jedes Gefühl aus seinem Bewusstsein und konzentrierte sich ganz auf die vor ihm liegende Aufgabe. Er wollte so viel wie möglich von dem Bein erhalten und gleichzeitig genug wegschneiden, um sicher sein zu können, dass alle infizierten Knochen und Gewebeteile entfernt waren.
    Den ersten ringförmigen Schnitt setzte er fünfzehn Zentimeter unterhalb des Ansatzes der Achillessehne, wobei er darauf achtete, dass ein wohlproportionierter Hautlappen zur Abdeckung des späteren Stumpfes entstand. Immer wieder hielt er beim Schneiden inne, um die große und die kleine Wadenvene, die Venen des Schienbeins und die übrigen Blutgefäße abzubinden. Das Schienbein durchsägte er gleichmäßig - wie ein Mann, der Feuerholz sägt. Abschließend durchtrennte er das Wadenbein. Jetzt war der infizierte Teil des Beins abgelöst - eine saubere, ordentliche Arbeit.
    Mit sauberen Binden legte Shaman einen festen Verband an, damit der Stumpf später eine gute Form bekäme. Zum Abschluss küsste er seinen noch immer bewusstlosen Bruder und trug ihn wieder hinauf in sein Zimmer. Eine Zeitlang saß er am Bett und beobachtete Alex, aber nichts sprach für irgendeine Komplikation: keine Übelkeit, kein Erbrechen, keine Äußerung von Schmerzen. Alex schlief wie ein Arbeiter, der seine Ruhe verdient hat.
    Nach einer Weile wickelte Shaman das abgetrennte Beinstück in ein Handtuch und trug es zusammen mit einem Spaten, den er im Keller gefunden hatte, in das Waldstück hinter dem Haus. Dort versuchte er, es zu vergraben, doch der Boden war hart gefroren, und der Spaten schlitterte über die eisige Oberfläche. Schließlich suchte Shaman dürres Holz zusammen und schichtete einen Scheiterhaufen auf, um das Beinstück nach Wikingerart zu bestatten. Er legte den blutigen Klumpen auf den Stoß, bedeckte ihn mit Holz und spritzte ein wenig Lampenöl darüber. Als er ein Streichholz anriss und an das Holz hielt, loderte das Feuer sofort auf. An einen Baum gelehnt, stand er da und sah den Flammen zu, mit trockenen Augen, aber einem schrecklichen Gefühl im Herzen, denn er fragte sich, was für eine Welt das denn ist, in der ein Mann seinem eigenen Bruder das Bein abschneiden und es verbrennen muss.
    Der Sergeant in der Schreibstube des Gefangenenlagers kannte sich aus in der Unteroffiziershierarchie der Region, und er wusste, dass dieser fette, tonnenförmige Sergeant-Major nicht in Elmira stationiert war. Normalerweise hätte er einen Soldaten, der fremd war, aufgefordert, die Einheit zu nennen, zu der er gehörte. Doch das Auftreten dieses Mannes und vor allem sein Blick verrieten deutlich, dass er hier war, um etwas zu erfahren - nicht, um Auskunft zu geben. Der Sergeant wusste zwar, dass ein Sergeant-Major kein Gott war, aber er wusste auch, dass solche Dienstränge die Armee am Laufen hielten. Diese geringe Anzahl von Männern im höchsten Unteroffiziersrang konnten einem Soldaten eine günstige Stationierung verschaffen oder für eine Strafversetzung in ein einsames Fort sorgen; sie konnten einen Mann in dienstliche Schwierigkeiten bringen oder ihm heraushelfen; sie konnten Karrieren fördern oder zerstören. In der Welt der Sergeanten war ein Sergeant-Major furchteinflößender als jeder Offizier- und er beeilte sich deshalb, ihm gefällig zu sein. »Ja, Sir«, sagte er schneidig nach einem Blick in die Unterlagen. »Sie haben ihn um etwas mehr als einen Tag verpasst. Dieser Kerl ist wirklich krank. Hat nur noch ein Bein, wissen Sie. Sein Bruder ist Arzt, Cole heißt er. Hat ihn gestern vormittag in einem Wagen weggebracht.«
    »In welche Richtung sind sie gefahren?« Der Sergeant sah ihn an und hob die Schultern. Der Dicke brummte und spuckte auf den frisch geputzten Boden. Dann verließ er die Schreibstube, bestieg seine wundervolle braune Kavalleriestute und ritt durch das Haupttor aus dem Gefangenenlager. Ein Tag Vorsprung bedeutete nichts, wenn der Bruder einen Invaliden mit sich schleppte. Es gab nur eine einzige Straße, sie konnten also nur in die eine oder in die andere Richtung gefahren sein. Er entschied sich für die nordwestliche. Sooft er an einem Laden,

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