Meereskuss
herumgeschnüffelt haben. Die Tochter aus der Prophezeiung.«
Lucy hielt die Hände im Schoß gefaltet. Sie waren alle gekommen, ihre ganze Familie, gleich nachdem sie angerufen hatte. Zuerst Caleb in seinem Polizeijeep, um die bewusstlose, aber noch atmende Kornpuppe in Lucys Bett zu tragen und seinen Vater dazu zu überreden, nicht den Arzt zu rufen. Dann Dylan, der Regina und Margred im weißen Van des Restaurants vorsichtig durch den fallenden Schnee fuhr.
Bart war oben geblieben bei Lucy – der
anderen
Lucy.
Der Rest der Familie saß in dem tristen braunen Wohnzimmer, Caleb auf der Armlehne von Maggies Sessel mit dem Gesicht zur Tür, Dylan und Regina nebeneinander auf der Couch. Calebs Hand ruhte auf Maggies Schulter. Dylan hatte den Arm um Reginas Taille gelegt.
Sie passen zusammen wie Topf und Deckel, dachte Lucy stumpf. Wie die Kerzenhalter auf dem Kaminsims oder das Kaminbesteck. Sie hockte auf der Kante ihres Sessels, die Füße flach auf dem Boden. Das Ganze sah der Familienkonferenz bemerkenswert ähnlich, die sie vor drei Wochen gestört hatte.
Nur, dass sie diesmal mit von der Partie war.
Und diesmal stand
sie
im Mittelpunkt des Interesses.
Sie hatte sich noch nie einsamer gefühlt.
»Ja«, erwiderte sie. »Aber das ist nicht der Grund, warum ich hier bin. Ich bin gekommen, weil Gau euch gedroht hat.«
Dylan beugte sich mit angespanntem, besorgtem Gesicht vor. »Ich kenne den Dämonlord Gau. Ich weiß von ihm«, verbesserte er sich. »Er ist ein mächtiger Feind.«
»Und er ist hier«, ergänzte Caleb. »Auf World’s End.«
»Ja«, bestätigte Lucy.
»Nein«, widersprach Dylan ebenso bestimmt. »Ich bin über jeden Zentimeter der Insel gekrochen. Ich würde es wissen, wenn die Schutzzauber gebrochen oder manipuliert wären.«
Gaus Stimme versengte Lucys Gehirn.
»Ich bin schon nach World’s End zu deiner Familie unterwegs. Da du ja keine Zeit dazu hattest.«
»Dann ist er noch auf dem Weg«, sagte Lucy.
»Vielleicht als Besucher?«, schlug Regina vor. »Wenn dieser Gau in jemanden fahren würde –«
»Dann würde ich es trotzdem wissen«, beharrte Dylan. »Ob Außenstehender oder nicht.«
»Außerdem kommt niemand im November auf die Insel«, bemerkte Caleb. »Es ist viel zu kalt für die Touristen. Selbst das Camp der Obdachlosen ist leer.«
Lucy grub die Fingernägel in die Handflächen. Sie war ausgelaugt und bekümmert und zermürbt von Angst und Schuldgefühlen, und sie nahmen sie nicht ernst genug. Sie nahmen die Bedrohung nicht ernst genug.
»Spielt es wirklich eine Rolle, wie er hierher kommt? Wichtig ist doch, dass ihr in Gefahr seid. Ihr alle. Ich habe gesehen …« Unmöglich, diese schrecklichen Dinge zu beschreiben, während Maggie und Regina dabeisaßen. »Er hat euch bedroht. Euch weh getan. In einer Vision.«
Caleb nickte. »Okay. Du bist also nach Hause gekommen …«
»Geschwommen«, korrigierte Lucy.
Er warf ihr einen Älterer-Bruder-Blick zu, während er sich mit der Hand durch das kurze Haar fuhr. »Nach Hause geschwommen, um uns zu warnen.«
»Um euch zu beschützen«, sagte Lucy.
Dylan hob die Augenbrauen. Dabei sah er Conn ein wenig ähnlich. Sie drückte die Hand auf den Schmerz in ihrer Brust.
»Um uns wie zu beschützen?«, fragte Dylan.
Lucy schluckte. »Ich, äh … Auf Sanctuary war ich so etwas wie ein Bindeglied. Ein Verstärker. Wie ein … Kanal für die Kräfte der anderen Wächter.«
Margreds Augen wurden groß. »Du warst im Flur«, sagte sie. »Als ich zum ersten Mal den Regen aufhören ließ.«
Dylan stand auf. Ging auf und ab. Drehte sich um. »Als ich das Restaurant mit einem Schutzzauber belegt habe … Das warst du?«
Lucy nickte mit zugeschnürter Kehle.
»Okay.« Caleb lächelte ihr ironisch zu. Bewundernd. »Die Tochter der Atargatis, hm?«
Tränen brannten in ihren Augen. Ihn dazu gebracht zu haben, dass er sie so sah … Dass er sie so akzeptierte …
»Und Conn hat es gewusst?«, fragte Dylan.
Schmerz durchbohrte ihr Herz.
»Dich können wir am wenigsten entbehren. Wir brauchen dich hier. Ich brauche dich hier. Ich kann das nicht ohne dich.«
Sie räusperte sich. »Er … Ja.«
»Dann bin ich überrascht, dass er dich hat gehen lassen«, sagte Margred.
Lucy starrte sie wehmütig an.
»O mein Gott.« Reginas dunkle Augen weiteten sich in weiblicher Intuition. »Das hat er gar nicht. Er weiß nicht, dass sie hier ist.«
»Er weiß es«, gab Lucy zu. »Wir haben vor meinem Aufbruch darüber geredet.«
»Du meinst,
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