Meereskuss
sich Conn wieder in Erinnerung. Das hatte sie gesagt. Das musste einstweilen genügen.
Er musste dafür sorgen, dass sich das Konzil der Wächter wieder auf die nahende Krise konzentrierte. Conn sah zu Ronat: »Wie aktiv ist der Schlot?«
»Das kann ich nicht sagen, mein Lord. Ich habe die Rauchsäule gerochen, aber ich konnte mich dem Kamin nicht nähern. Es war zu tief für mich – über eineinhalb Kilometer unter der Wasseroberfläche.«
»Könnte das Finnvolk dorthin gelangen?«, wandte sich Conn an Morgan.
»Ich könnte es«, antwortete Morgan.
»Dann –«
Die Tür flog auf. Eine Säule aus Sonnenlicht ergoss sich über den Boden. Lucy folgte ihr nach drinnen.
Einen Augenblick lang genoss es Conn einfach, sie zu sehen, so hoch aufgeschossen und schlank und anmutig, gebadet in Licht.
Dann bemerkte er ihre Miene, und sein Herz krampfte sich wie eine Faust zusammen.
»Was ist, Mädchen?«, fragte Griff. »Was ist los?«
In dem gleißenden Lichtstrahl geriet sie ins Stolpern. Sie bewegte sich steif, tastend, wie eine alte Frau. »Gau.«
Conn sprang von seinem Sitz hoch, um sie aufzufangen.
»Was?« Eine Stimme hinter ihm.
»Wo?«
Lucy erhob ihre schwimmenden grünen Augen zu Conn. »Im Brunnen.«
Er stützte sie, während sein Herz wieder zu schlagen begann.
»Eine Vision«, sagte er erleichtert.
Gau musste die Öffnung im Brunnen dazu genutzt haben, die Wächter zu umgehen. Wenigstens hatte der Dämon ihr keinen körperlichen Schaden zugefügt.
Lucy klammerte sich an seinen Arm. »Ich muss nach Hause.«
Conn erstarrte. Sie war außer sich. Sie meinte es nicht so. Sie konnte ihn doch nicht verlassen. »Nein.«
Lucy zitterte.
Er begriff es nicht.
»Gau hat meiner Familie gedroht. Ich muss nach Hause.«
Ein Muskel arbeitete in Conns Wange. »Du kannst Sanctuary nicht verlassen.«
Verzweiflung zerrte an ihr. »Du verstehst nicht. Ich habe gesehen –«
»Visionen können lügen«, unterbrach sie Conn geduldig. Unerbittlich. »Gau lügt.«
»Gau ist auf dem Weg nach World’s End!«, stieß sie hervor.
»Dann wird er vor Ihnen dort sein«, sagte eine Stimme gedehnt.
Lucy wandte den Kopf, um zu sehen, wem sie gehörte. Es war Morgan mit dem weißblonden Haar und den gespenstischen gelben Augen.
»Was auch immer Sie glauben, ausrichten zu können«, fuhr er fort. »Sie kommen schon jetzt zu spät.«
Zu spät.
Entsetzen schüttelte sie. Das lautlose Schreien in ihrem Kopf setzte wieder ein.
Conn spießte den Wächter regelrecht mit seinem Blick auf, bevor er sich Lucy wieder widmete. »Dylan ist dort«, beruhigte er sie. »Und Margred. Sie werden deine Familie beschützen.«
Lucys Visionen stiegen wie Rauch auf, ätzend, dunkel. Sie musste würgen. »Das reicht nicht. Sie brauchen einen Wächter.«
»Dylan ist ein Wächter.«
»Dylan ist nur einer.«
»Ich werde die
whaleyn
mit einer Warnung zu ihm schicken.«
Sie starrte ihn ungläubig an. »Meine Familie ist in Gefahr. Meine Brüder. Ein Junge, den du kennst, seitdem er dreizehn ist. Und du willst eine
Warnung
schicken?«
Conn kniff den Mund zusammen. »Deine Familie hat die Gefahr akzeptiert, als sie sich weigerte, nach Sanctuary mitzukommen.«
»Conn.« Es verschlug ihr fast die Stimme. »Du musst ihnen helfen.«
Sein Gesicht wurde hart. »Meine Pflicht ist es, hier zu bleiben.«
»Und was ist mit
meiner
Pflicht?«
»Du bist die
targair inghean
.«
»Ach, lass sie doch gehen«, blaffte Enya. »Soll sie es doch mit Gau auf fremdem Grund und Boden aufnehmen. Das würde unsere Probleme mit der Hölle lösen.«
»Auf die eine oder andere Art«, bemerkte Morgan.
Conn warf ihnen einen Blick zu, der sie verstummen ließ.
Lucys wilder Blick musterte den Kreis der interessierten, wiewohl verhaltenen Selkie-Gesichter.
»Ihr könntet helfen. Meiner Familie helfen. Bitte.« Ihr Herz klopfte. »Will keiner von euch mir helfen?«
Griff trat von einem Fuß auf den anderen und sah weg.
»Sie sind Menschen. Sterbliche.« Ihre Augen flehten um Verständnis. Um Mitgefühl. »Sie werden sterben.«
Conn packte ihre Hände und hielt sie fest. »Lucy, Sanctuary selbst ist bedroht. Ohne es wird unser Volk sterben.«
»Ihr seid unsterblich.«
»Nicht in Menschengestalt. Nicht außerhalb von Sanctuary.«
»Na und?« War das ihre Stimme, so scharf und kalt wie der Wind? »Dann lebt ihr also nur achtzig, neunzig Jahre?«
Sein Gesicht verschloss sich. »Es ist den Kindern der See nicht bestimmt, alt zu werden und zu sterben.«
»Meine
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