Meerjungfrau
ihr gegeben hatte. Als die beiden sich kennenlernten, lebte Christian noch in Göteborg. Was seine Kollegin May über Trollhättan gesagt hatte, hatte Erica ebenfalls noch im Hinterkopf, aber als Ausgangspunkt leuchtete ihr Göteborg mehr ein. Dort hatte er gewohnt, bevor er nach Fjällbacka kam, und deshalb musste sie dort beginnen. Falls nötig, konnte sie seinen Weg dann hoffentlich weiter zurückverfolgen. Sie war sich hundertprozentig sicher, dass die Wahrheit in Christians Vergangenheit zu finden war. Vier Anrufe später wusste sie zumindest, wo Christian gewohnt hatte, bevor er zu Sanna zog. An einer Statoil-Tankstelle kurz vor Göteborg hielt sie an und kaufte sich einen Stadtplan. AuÃerdem nutzte sie die Gelegenheit, um auf die Toilette zu gehen und sich die Beine zu vertreten. Autofahren war furchtbar unangenehm, wenn man noch zwei Babys hinter dem Lenkrad unterbringen musste. Rücken und Beine waren steif und taub.
Als sie sich gerade wieder hinters Steuer geklemmt hatte, klingelte das Telefon. Sie balancierte einen Kaffeebecher aus Pappe in der einen Hand und zückte mit der anderen ihr Handy, um einen Blick auf das Display zu werfen. Patrik. Das überlieà sie am besten der Mailbox. Sie konnte ihm später alles erklären. Vielleicht brachte sie ja etwas mit nach Hause, das ihm weiterhalf. Damit würde sie sich zumindest einige der Vorwürfe ersparen, mit denen sie anderenfalls zu rechnen hatte.
Nach einem letzten Blick auf die Karte lieà sie den Motor an und fädelte sich wieder auf der Autobahn ein. Es war gute sieben Jahre her, dass Christian dort gewohnt hatte. Auf einmal kamen ihr Zweifel. Wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass sie noch auf Spuren von ihm stie� Die Leute zogen dauernd um, ohne etwas zurückzulassen.
Erica seufzte. Da sie nun einmal hier war, würde Göran sie zumindest auf einen Kaffee einladen, bevor sie sich auf den Heimweg machte. Vollkommen vergeblich würde die Fahrt also nicht sein.
Das Handy piepte. Patrik hatte eine SMS geschickt.
»Wo stecken die denn alle?« Mellberg blickte sich verschlafen um. Er war nur kurz eingenickt, und als er wieder aufwachte, befand er sich mutterseelenallein in der Dienststelle. Waren die anderen etwa ins Café gegangen, ohne ihm Bescheid zu sagen?
Er stürmte zur Rezeption, Annika saà dort.
»Was ist hier los? Glauben die anderen etwa, das Wochenende hat bereits begonnen? Warum ist keiner hier und arbeitet? Wenn die im Café Hembageriet hocken, setzt es was. Diese Gemeinde erwartet von uns, dass wir immer bereit sind, und wir haben die Pflicht und Schuldigkeit«, er wedelte mit dem Zeigefinger, »vor Ort zu sein, wenn unsere Mitbürger uns brauchen.« Mellberg liebte den Klang seiner eigenen Stimme. Der gebieterische Ton stand ihm besonders gut, dieser Meinung war er schon immer gewesen.
Annika starrte ihn sprachlos an. Mellberg wurde nervös. Er hatte erwartet, dass Annika ihn im Namen der Kollegen mit Rechtfertigungen und Ausflüchten überschütten würde. Stattdessen beschlich ihn nun leises Unbehagen.
Nach einer Weile sagte Annika ruhig:
»Sie sind im Einsatz. In Fjällbacka. Es ist eine Menge passiert, während du in deinem Zimmer gearbeitet hast.« Das Wort Arbeit sprach sie ohne den geringsten Unterton aus, aber irgendetwas verriet ihm trotzdem, dass sie von seinem kleinen Nickerchen wusste. Er musste die Situation unbedingt retten.
»Warum hat mir keiner was davon gesagt?«
»Patrik hat es versucht. Er hat eine ganze Weile bei dir angeklopft, aber deine Tür war abgeschlossen und du hast nicht geantwortet. SchlieÃlich musste er los.«
»Ja ⦠manchmal bin ich so in die Arbeit vertieft, dass ich nichts sehe oder höre«, brummte Mellberg. Verdammter Mist. Warum hatte er bloà einen so tiefen Schlaf? Das war zwar grundsätzlich ein Segen, aber manchmal konnte es auch ein Fluch sein.
»Hm â¦Â« Annika wandte sich wieder ihrem Computer zu.
»Was ist denn überhaupt passiert?«, fragte er zornig. Er wurde das Gefühl nicht los, dass man ihn hinters Licht geführt hatte.
Annika fasste kurz zusammen, was sich bei Christian zu Hause ereignet hatte und was Kenneth zugestoÃen war. Mellberg bekam den Mund nicht wieder zu. Diese Geschichte wurde immer merkwürdiger.
»Sie sind bald wieder da, zumindest Patrik und Paula, und dann wirst du mehr erfahren. Martin und Gösta sind
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