Meerjungfrau
sie zu Ende bringen. Das war seine einzige Rettung. Wenn er für das, was er getan hatte, gebüÃt hatte, würde er Lisbet alles erklären können.
»Ich weià nicht, wovon Sie reden.« Er blickte zur Seite, begriff aber, dass den beiden Polizisten die Angst in seinen Augen nicht entgangen war. Beide reagierten darauf. Für sie war das die Schwachstelle, die Möglichkeit, an ihn heranzukommen. Sie irrten sich. Er hatte nichts zu verlieren, konnte aber alles gewinnen, indem er schwieg. Einen Augenblick lang dachte er an Erik und Christian. Vor allem an Christian. Der war schuldlos in die ganze Sache hineingezogen worden. Im Gegensatz zu Erik. Aber er konnte keine Rücksicht auf ihn nehmen. Nun zählte nur noch Lisbet.
»Wir kommen gerade von Cia. Dort haben wir eine Videoaufzeichnung von einem Mittsommerfest bei Kjellners gesehen.« Patrik schien auf eine Reaktion zu warten, aber Kenneth wusste nicht, wovon er sprach. Sein früheres Leben, in dem es noch Feiern und Freunde gab, erschien ihm weit weg.
»Magnus war ziemlich angetrunken. Sie beide haben sich von den anderen entfernt, um eine zu rauchen. Es schien, als wären Sie sehr darauf bedacht gewesen, dass Ihnen niemand zuhörte.«
Noch immer begriff er nicht, was Patrik meinte. In seinem Kopf waren nur Dunst und Nebel. Nichts war mehr deutlich oder klar.
»Magnusâ Sohn Ludvig hat Sie unbemerkt gefilmt. Magnus war aufgewühlt. Er wollte mit Ihnen über etwas Bestimmtes reden. Sie wurden wütend und sagten, man könne die Sache ohnehin nicht ungeschehen machen. Er solle an seine Familie denken. Erinnern Sie sich?«
Nun fiel es ihm wieder ein. Das Ganze war ein wenig verschwommen, aber er wusste noch, was er empfunden hatte, als er die Panik in Magnusâ Augen sah. Warum sie ausgerechnet an diesem Abend hochgekommen war, hatte er nie herausgefunden. In Magnus brodelte der Wunsch, alles zu erzählen und wiedergutzumachen. Ihn hatte das erschreckt. Er hatte an Lisbet gedacht und sich voll Sorge gefragt, was sie sagen und wie sie ihn ansehen würde. Zum Schluss war es ihm gelungen, Magnus zu beruhigen, so viel wusste er noch. Doch von diesem Moment an hatte er darauf gewartet, dass etwas passierte, was alles zum Einsturz brachte. Und nun war es geschehen. Aber nicht so, wie er erwartet hatte. Denn selbst in seinen schrecklichsten Vorstellungen war Lisbet noch da gewesen und hatte ihm Vorwürfe gemacht. Es hätte eine winzige Möglichkeit gegeben, ihr das Ganze zu erklären. Nun war alles anders. Erst musste für Gerechtigkeit gesorgt werden, bevor er Gelegenheit dazu bekam. Er durfte nicht zulassen, dass sie alles kaputtmachten.
Deshalb schüttelte er nachdenklich den Kopf.
»Daran kann ich mich überhaupt nicht erinnern.«
»Wir könnten Ihnen das Video zeigen, falls Ihnen das auf die Sprünge hilft«, sagte Paula.
»Ich sehe es mir gerne an. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es um etwas Wichtiges ging. Sonst müsste ich mich daran erinnern. Das war sicher nur irgendein Geschwätz im Suff. Wenn er etwas getrunken hatte, war Magnus manchmal so. Pathetisch und sentimental. Dann hat er aus einer Mücke einen Elefanten gemacht.«
Er merkte, dass sie ihm nicht glaubten. Aber das spielte keine Rolle, denn sie konnten seine Gedanken nicht lesen. Früher oder später würde sein Geheimnis ans Licht kommen, das war ihm klar. Sie würden erst lockerlassen, wenn sie alles wussten. Aber das durfte nicht geschehen, bevor sie kam und er erhielt, was er verdiente.
Sie blieben noch eine Weile, doch es war leicht, ihre Fragen abzublocken. Er würde ihnen die Arbeit nicht abnehmen. Er musste an sich selbst und Lisbet denken. Erik und Christian würden schon zurechtkommen.
Bevor er ging, sah Patrik ihn freundlich an.
»Wir wollten Ihnen noch das Ergebnis von Lisbets Obduktion mitteilen. Sie ist nicht ermordet worden, sondern eines natürlichen Todes gestorben.«
Kenneth drehte sich weg. Er wusste, dass sie sich irrten.
Auf dem Rückweg von Uddevalla schlief er beinahe ein. Die Augen fielen ihm zu, und der Wagen gelangte auf die Gegenfahrbahn.
»Was machst du da?« Paula packte das Steuerrad und lenkte den Wagen zurück auf die richtige Spur.
Patrik zuckte zusammen und schnappte nach Luft.
»ScheiÃe. Keine Ahnung, was los war. Ich bin so müde.«
Paula betrachtete ihn besorgt. »Wir fahren jetzt zu dir und setzen dich da ab.
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