Meerjungfrau
Familie?«
»Zwei wunderbare Söhne und eine Frau. Sie heiÃt Sanna. Er lebte seit einiger Zeit in Fjällbacka und arbeitete dort als Bibliothekar. Vorige Woche ist sein Debütroman erschienen, die Meerjungfrau . Er hat hervorragende Rezensionen bekommen.«
»Dann war er es also wirklich«, sagte Ragnar. »Ich habe in der Zeitung davon gelesen und bin auf den Namen aufmerksam geworden. Auf dem Bild sah er allerdings ganz anders aus als der Christian, der bei uns lebte.«
»Man hätte nie erwartet, dass aus dem noch einmal etwas wird.« Irénes Gesicht war hart wie Stein.
Patrik musste sich auf die Zunge beiÃen, um nicht etwas Scharfes zu erwidern. Er musste sich professionell verhalten und durfte sein Ziel nicht aus den Augen verlieren. Auf einmal begann er wieder, so unangenehm zu schwitzen. Er zupfte an seinem Pullover, um sich etwas Luft zu machen.
»Christian hatte keinen leichten Start ins Leben. Haben Sie ihm das irgendwie angemerkt?«
»Er war doch noch so klein. In dem Alter vergisst man schnell.« Iréne winkte ab.
»Er hatte manchmal Alpträume«, sagte Ragnar.
»Das haben doch alle Kinder. Nein, uns ist nichts aufgefallen. Er war insgesamt ein etwas sonderbares Kind, aber bei der Vorgeschichte â¦Â«
»Was wissen Sie über seine biologische Mutter?«
»Eine Schlampe. Unterschicht. Nicht ganz richtig im Kopf.« Iréne tippte sich seufzend an die Stirn. »Ich verstehe wirklich nicht, wie wir Ihnen helfen sollen. Wenn Sie keine weiteren Fragen haben, würde ich mich jetzt gerne wieder hinlegen. Mir ist nicht ganz wohl.«
»Nur noch ein paar Fragen«, sagte Patrik. »Ist in seiner Kindheit noch etwas passiert, das sie gern erwähnen würden? Wir suchen nach einer Person, höchstwahrscheinlich einer Frau, die unter anderem Christian bedroht hat.«
»Die Mädchen haben ihn nicht gerade umschwärmt«, schnaubte Iréne.
»Ich habe nicht nur an Schwärmerei gedacht. Gab es keine anderen Frauen in seiner Umgebung?«
»Nein. Er hatte nur uns.«
Patrik wollte das Gespräch gerade beenden, als Paula etwas einfiel.
»Moment. In Fjällbacka ist noch ein Mann tot aufgefunden worden. Magnus Kjellner, ein Freund von Christian. Und zwei weitere Freunde von ihm scheinen den gleichen Drohungen ausgesetzt zu sein wie er: Erik Lind und Kenneth Bengtsson. Sind Ihnen diese Namen bekannt?«
»Wie gesagt, wir haben, seit er ausgezogen ist, nichts von ihm gehört.« Iréne stand abrupt auf. »Jetzt müssen Sie mich wirklich entschuldigen. Ich habe ein schwaches Herz, und nach diesem Schock muss ich mich unbedingt hinlegen.« Sie steuerte die Treppe an.
»Haben Sie eine Ahnung, wer es sein könnte?« Ragnar blickte seiner Frau nach.
»Im Moment nicht«, sagte Patrik. »Aber ich glaube, dass Christian die wichtigste Person ist, und ich werde nicht aufgeben, bevor ich weiÃ, wie und warum. Seiner Frau haben wir heute bereits mitgeteilt, dass er tot ist.«
»Ich verstehe«, murmelte Ragnar. Er öffnete den Mund, als wollte er noch etwas sagen, doch dann kam kein Wort über seine Lippen. Beim Aufstehen sah er Patrik und Paula an. »Ich bringe Sie hinaus.«
An der Tür hatte Patrik das Gefühl, dass er noch nicht gehen sollte. Er hätte bleiben und diesen Mann schütteln sollen, bis er endlich ausspuckte, was er beinahe gesagt hätte. Stattdessen drückte er Ragnar seine Visitenkarte in die Hand und ging.
E ine Woche später war nichts mehr zu essen im Haus. Brot gab es schon seit einigen Tagen nicht mehr. Seitdem hatte er sich von den Cornflakes in der groÃen Packung ernährt. Ohne Milch. Die Milch und den Saft hatte er längst ausgetrunken, aber es kam ja Wasser aus dem Hahn, und wenn er einen Stuhl vor das Spülbecken schob, konnte er direkt aus dem Wasserhahn trinken.
Doch nun hatte er nichts mehr zu essen. Im Kühlschrank war nicht viel gewesen, und in der Speisekammer standen nur Konservendosen, die er nicht öffnen konnte. Er hatte sogar überlegt, alleine in den Laden zu gehen und Lebensmittel einzukaufen. Er wusste, wo Mama ihr Portemonnaie mit dem Geld verwahrte. Ihre Handtasche lag immer im Flur. Aber er bekam die Tür nicht auf. Sosehr er auch rüttelte, der Schlüssel lieà sich nicht umdrehen. Sonst wäre Mama bestimmt noch stolzer auf ihn gewesen. Er konnte sich nicht nur die Butterbrote selbst schmieren.
Weitere Kostenlose Bücher