Meerjungfrau
verweist.«
»Da muss ich protestieren«, ereiferte sich Mellberg. »Als Leiter dieser Dienststelle bin ich verpflichtet, eine so wichtige Aufgabe wie den Umgang mit den Medien selbst in die Hand zu nehmen.«
Patrik überlegte, was das geringere Ãbel war. Mellberg ungebremst auf die Journalisten loszulassen war ein Alptraum. Aber ihn jetzt davon abzubringen hätte zu viel Kraft gekostet.
»Einverstanden, du hältst Kontakt zu den Medien. Darf ich dir einen Rat geben? Unter den jetzigen Umständen sollten wir so wenig wie möglich nach auÃen dringen lassen.«
»Keine Sorge. Mit meiner langjährigen Erfahrung wickle ich die Kameraden um den kleinen Finger.« Mellberg lehnte sich zurück.
»Wie ihr sicher wisst, waren Paula und ich in Trollhättan.«
»Habt ihr etwas herausbekommen?«, fragte Annika eifrig.
»Das weià ich noch nicht. Aber ich glaube, wir sind auf dem richtigen Weg. Deshalb forschen wir weiter.« Er trank einen Schluck Wasser. Es wurde Zeit, den Kollegen das zu erzählen, was er selbst kaum fassen konnte.
»Was habt ihr denn erfahren?« Martin trommelte ungeduldig mit dem Kugelschreiber auf den Tisch. Nachdem er einen bösen Blick von Gösta eingefangen hatte, hörte er damit schnell wieder auf.
»Wie Annika bereits herausgefunden hat, verlor Christian als Kleinkind seine Eltern. Zuerst lebte er allein mit seiner Mutter Anita Thydell zusammen. Vater unbekannt. Laut Jugendamt waren sie vollkommen isoliert, und aufgrund einer psychischen Krankheit in Verbindung mit Alkoholmissbrauch hatte Anita zeitweise Schwierigkeiten, sich um Christian zu kümmern. Nachdem sich die Nachbarn mehrmals an den Sozialen Dienst gewandt hatten, behielt man die Familie im Auge, aber die Hausbesuche fanden offenbar in den Phasen statt, in denen Anita die Lage einigermaÃen unter Kontrolle hatte. Zumindest wurde uns gegenüber damit begründet, warum man nicht eingegriffen hat. Es herrschten eben andere Sitten«, fügte er nicht ohne ironischen Unterton hinzu. »Als Christian drei Jahre alt war, fiel eines Tages einem anderen Mieter auf, dass es aus Anitas Wohnung stank. Der Mieter verschaffte sich mit dem Generalschlüssel Zugang und fand Christian und seine tote Mutter. Sie war bereits seit über einer Woche tot. Christian hatte überlebt, indem er die Vorräte aufaà und Wasser aus der Leitung trank. Nach einigen Tagen waren die Lebensmittel jedoch zur Neige gegangen, denn als Polizei und Sanitäter eintrafen, war der Junge vollkommen ausgehungert und erschöpft. Er lag halb bewusstlos neben der Leiche seiner Mutter.«
»Mein Gott.« Annikas Augen füllten sich mit Tränen. Auch Gösta musste schlucken, und Martin war ganz grün im Gesicht. Er schien mit Ãbelkeit zu ringen.
»Leider war Christians Elend damit nicht beendet. Er wurde bald darauf in einer Pflegefamilie untergebracht. Das Ehepaar hieà Lissander. Paula und ich haben die Leute heute besucht.«
Gösta schoss etwas durch den Kopf. Lissander. Wo hatte er den Namen schon einmal gehört? Aus irgendeinem Grund assoziierte er ihn mit Ernst Lundgren, dem ehemaligen Kollegen, der hinausgeworfen worden war. Gösta versuchte angestrengt, sich zu erinnern. Sollte er erwähnen, dass ihm der Name bekannt vorkam? Er beschloss, zu warten, bis ihm von alleine wieder einfiel, woher er den Namen kannte.
Patrik fuhr fort: »Sie behaupten, dass Sie keinen Kontakt zu Christian haben, seit er achtzehn ist. Damals hat er offenbar mit ihnen gebrochen und ist verschwunden.«
»Glaubt ihr, sie sagen die Wahrheit?«, fragte Annika.
Patrik sah Paula an. Sie nickte.
»Ja«, antwortete er. »Oder sie sind geschickte Lügner.«
»Und sie wussten nicht, ob es eine Frau gibt, die mit Christian noch eine Rechnung offen haben könnte?«, fragte Gösta.
»Jedenfalls haben sie nichts dergleichen erwähnt. Aber auch hier weià ich nicht, ob ihre Aussage zuverlässig ist.«
»Hatte er keine Geschwister?«
»Davon haben sie nichts gesagt, aber das kannst du vielleicht herauskriegen, Annika. Das dürfte ja nicht allzu schwierig sein. Ich gebe dir den vollständigen Namen und weitere Angaben, damit du das so schnell wie möglich überprüfen kannst.«
»Ich kann es jetzt gleich machen«, sagte Annika. »Das dauert nicht lange.«
»Tu das. Auf der Mappe auf meinem Schreibtisch klebt ein Zettel,
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