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Meerjungfrau

Meerjungfrau

Titel: Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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sagte sogar, Alice habe diesen Schaden vermutlich von Geburt an gehabt, er sei aber erst aufgefallen, als sich gewisse Entwicklungsschritte verzögerten.«
    Â»Wie lief es, als die beiden größer wurden?«
    Â»Wie viel Zeit haben Sie?«, fragte Ragnar lächelnd, aber sein Lächeln wirkte traurig. »Iréne hat sich nur um Alice gekümmert. Sie war das süßeste Kind, das ich je gesehen habe, und das sage ich nicht nur, weil sie meine Tochter ist. Sie haben sie ja gesehen.«
    Patrik dachte an die großen blauen Augen. Ja, er hatte Alice gesehen.
    Â»Iréne hatte immer eine Schwäche für Schönheit. In ihrer Jugend war sie selbst schön, und ich glaube, sie sah in Alice eine Bestätigung dafür. Sie schenkte unserer Tochter ihre gesamte Aufmerksamkeit.«
    Â»Und Christian?«, erkundigte sich Patrik.
    Â»Christian? Ihn hat sie wie Luft behandelt.«
    Â»Das muss schrecklich für ihn gewesen sein«, sagte Paula.
    Â»Ja«, antwortete Ragnar. »Aber er hat seinen eigenen kleinen Aufstand gewagt. Er hat unheimlich gern gegessen und schnell zugenommen. Diese Veranlagung hat er sicher von seiner Mutter. Als er merkte, dass Iréne das störte, aß er noch mehr und wurde noch dicker, nur um sie zu ärgern. Und das gelang ihm auch. Zwischen den beiden spielte sich ein ständiger Kampf ums Essen ab, aber zumindest auf diesem Gebiet blieb er der Sieger.«
    Â»Christian war also in seiner Jugend kräftig?«, fragte Patrik. Er versuchte, sich den erwachsenen und schlanken Christian als pummeligen Jungen vorzustellen, aber es wollte ihm nicht gelingen.
    Â»Er war nicht kräftig, sondern dick. Richtig fett.«
    Â»Hat Alice ihn gemocht?«, wollte Paula wissen.
    Wieder lächelte Ragnar, aber diesmal strahlten auch seine Augen. »Alice hat Christian geliebt. Sie hat ihn angebetet. Klebte wie eine Klette an ihm.«
    Â»Wie ist Christian damit umgegangen?«, fragte Patrik.
    Ragnar dachte nach. »Ich glaube nicht, dass er viel dagegen hatte. Er ließ sie gewähren. Manchmal schien er über all die Liebe zu staunen, mit der sie ihn überschüttete. Als könnte er das überhaupt nicht verstehen.«
    Â»Das hat er vielleicht auch nicht«, erwiderte Paula. »Was ist dann passiert? Wie hat Alice auf seinen Auszug reagiert?«
    Ein Schleier schien sich auf Ragnars Gesicht zu legen. »Damals sind viele Dinge auf einmal passiert. Christian verschwand, und wir konnten Alice nicht mehr die Unterstützung bieten, die sie brauchte.«
    Â»Warum nicht? Wieso konnte sie nicht mehr zu Hause wohnen?«
    Â»Sie war so groß geworden, dass sie mehr Hilfe benötigte, als wir ihr geben konnten.«
    Ragnar Lissanders Stimmung hatte sich verändert, aber Patrik konnte sie nicht richtig einschätzen.
    Â»Hat sie nie sprechen gelernt?«, warf er ein. Alice hatte kein Wort gesagt, als sie in ihrem Zimmer waren.
    Â»Sie kann sprechen, aber sie will nicht.« Ragnar wirkte noch immer verschlossen.
    Â»Hat sie irgendeinen Grund, Christian zu grollen? Wäre sie in der Lage, ihm etwas anzutun? Oder den Menschen in seiner Umgebung?« Patrik sah das Mädchen mit den langen dunklen Haaren vor sich. Erinnerte sich an die Hände, die sich über die weißen Blätter bewegten und Zeichnungen anfertigten, die von einer Fünfjährigen stammen könnten.
    Â»Nein. Alice könnte keiner Fliege etwas zuleide tun«, antwortete Ragnar. »Deshalb habe ich sie mitgenommen. Damit Sie sie sehen. Sie könnte niemandem weh tun. Und Christian ist … war ihr Ein und Alles.«
    Er legte das Bild auf den Tisch, das sie ihm gegeben hatte. Ganz oben eine gelbe Sonne, unten grünes Gras mit Blumen. Zwei Gestalten: eine große und eine kleine, die sich an der Hand halten.
    Â»Sie hat Christian geliebt.«
    Â»Kann sie sich überhaupt an ihn erinnern? Sie haben sich doch schon seit Jahren nicht gesehen«, wandte Paula ein.
    Ragnar antwortete nicht, sondern zeigte nur auf das Bild. Zwei Gestalten. Alice und Christian.
    Â»Fragen Sie das Pflegepersonal, wenn Sie mir nicht glauben. Alice ist nicht die Frau, nach der Sie suchen. Ich weiß nicht, wer es auf Christian abgesehen hatte. Er ist mit achtzehn Jahren aus unserem Leben verschwunden. Seitdem kann viel passiert sein, aber Alice hat ihn geliebt. Sie liebt ihn immer noch.«
    Patrik betrachtete den kleinen Mann. Er würde tun, was Ragnar ihm geraten hatte.

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