Mein Auge ruht auf dir - Thriller
Vaters, dachte sie. Bei einem alten Pergament wie diesem hätte Dad manche unter ihnen um Rat gefragt, Charles und Albert zum Beispiel. Aber wenn Mom nicht die Täterin ist, was ich bei Gott hoffe, könnte es dann mög licherweise sein, dass er eben nicht von einem auf frischer Tat ertappten Einbrecher ermordet wurde? Sondern von jemandem, der ihn vorsätzlich getötet hat … und der sich hier in diesem Raum aufhält?
Bevor sie Pater Aiden diesen Gedanken mitteilen konnte, sah sie ihre Mutter in den Raum zurückkehren. Rory folgte einen Schritt dahinter und kam direkt auf Mariah und Pater Aiden zu. »Sie will ohne Sie nicht gehen!«, erklärte Rory ungehalten.
Kathleen Lyons lächelte mit leerer Miene Pater Aiden zu. »Haben Sie den Lärm auch gehört?«, fragte sie. »Und das viele Blut gesehen?«
Und dann sagte sie noch: »Die Frau auf den Fotos mit Jonathan hat heute neben ihm gestanden. Sie heißt Lily. Warum ist sie gekommen? Hat es ihr nicht gereicht, dass sie mit ihm nach Venedig gefahren ist?«
5
A lvirah und Willy Meehan befanden sich auf ihrer jährlichen Reise an Bord der Queen Mary 2 , als sie von der Ermordung ihres guten Freundes Professor Jonathan Lyons erfuhren. Mit zitternder Stimme überbrachte die entsetzte Alvirah ihrem Mann die Neuigkeit. Ihr war klar, dass sie im Moment nichts tun konnten, außer auf dem Anrufbeantworter eine Nachricht zu hinterlassen und ihr Beileid auszusprechen. Sie würden erst am Tag der Beerdigung nach Hause kommen.
Das Schiff war gerade aus Southampton ausgelaufen, und wollte man vorzeitig von Bord, dann nur mit dem Sanitätshubschrauber. Außerdem war Alvirah als Gastleserin und Autorin eingeladen, um von Lottogewinnern zu berichten, die bei haarsträubenden Finanzgeschäften jeden Cent ihrer Gewinne wieder verloren hatten. Sie erzählte von Menschen, die sich die meiste Zeit ihres Lebens mit zwei Jobs gleichzeitig über Wasser gehalten hatten, dann Millionen gewannen und sich dazu überreden ließen, Hotels zu erwerben, für deren Unterhalt sie schlichtweg nicht aufkommen konnten, oder Nippesläden zu übernehmen, die kit schige Cocktail-Servietten, Glitzer-Schlüsselanhänger oder bestickte Kissen verkauften und noch nicht einmal die Ladenmiete abwarfen.
Immer erklärte sie, dass sie Putzfrau und Willy Klempner gewesen seien, als sie vierzig Millionen Dollar im Lotto gewonnen hatten. Sie hatten sich entschieden, sich das Geld über einen Zeitraum von zwanzig Jahren in Raten auszahlen zu lassen. Jedes Jahr beglichen sie als Erstes die Steuer, und von der Hälfte der übrigen Summe bestritten sie ihren Lebensunterhalt, die andere Hälfte investierten sie.
Die Passagiere liebten Alvirahs Geschichten und rissen ihr ihren Bestseller Vom Putzeimer zur Prominenz regelrecht aus den Händen. Obwohl Jonathans Tod ihr überaus naheging, ließ sie sich nichts anmerken, und selbst als sich andere Passagiere lebhaft darüber unterhielten, warum der bekannte Gelehrte ermordet worden sein könnte, erwähnte weder sie noch Willy auch nur mit einer Silbe, dass sie Professor Lyons gut gekannt hatten.
Jonathan hatten sie zwei Jahre zuvor auf einer Kreuz fahrt von Venedig nach Istanbul kennengelernt, wo Alvirah ebenfalls ihre Vorträge gehalten hatte. Alvirah hatte daraufhin Professor Lyons’ Vortrag besucht und war fasziniert gewesen von seinen erstaunlichen Geschichten über das alte Ägypten, das antike Griechenland oder das biblische Palästina. Wie es ihre Art war, hatte sie ihn sofort an ihren Tisch eingeladen. Der Professor sagte gern zu, merkte aber an, dass er im Beisein seiner Gefährtin reise, weshalb die Essensgesellschaft aus vier Personen bestehen würde.
So haben wir Lily kennengelernt, ging Alvirah während der Überfahrt immer wieder durch den Kopf. Ich habe sie wirklich gemocht. Sie ist klug und attraktiv, und wahrscheinlich hat sie schon als Sechsjährige gewusst, wie sie sich kleiden muss, damit sie gut aussieht. Sie ist von der Archäologie genauso begeistert wie der Professor und hat ebenso viele Titel wie er. Sie hat nichts Affektiertes an sich, keine Frage, und sie war fürchterlich in ihn verliebt, obwohl sie um so vieles jünger ist als er.
Alvirah hatte natürlich Professor Lyons gegoogelt und erfahren, dass er verheiratet war und eine Tochter namens Mariah hatte. »Aber, Willy, wahrscheinlich haben sich er und seine Frau auseinandergelebt«, hatte Alvirah damals zu ihrem Mann gesagt. »Das passiert, weißt du. Und manchmal finden sich beide damit
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