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Mein Bild sagt mehr als deine Worte

Mein Bild sagt mehr als deine Worte

Titel: Mein Bild sagt mehr als deine Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Levithan
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hast auf ihren Kopf gedeutet).

6 I
    Ich habe in der Vergangenheit gegraben, als könnte ich dort Anhaltspunkte finden. Gründe.
    Aber die Vergangenheit sträubt sich gegen eine solche Spurensuche.
    Sie birgt zu viele Beweise für zu viele Dinge.

7
    Von dir habe ich gelernt, wie man Leute beobachtet. Weil du darin so gut warst, habt ihr euch schließlich auch kennengelernt, Jack und du.
    Ich erinnere mich noch ganz genau. Nach der Schule ist Jack immer Laufen gegangen, auch wenn er gar nicht für Wettbewerbe trainieren musste. Du und ich streiften durch den Wald und er lief uns immer wieder über den Weg. Anders als die meisten aus seiner Mannschaft, die immer dieselbe Strecke rannten, wechselte er die Route genauso oft wie wir. Mir ist das nicht weiter aufgefallen, aber dir.
    »Da ist schon wieder dieser Typ«, hast du gesagt.
    Und dann: »Ich finde ihn süß, weißt du.«
    Nein, weiß ich nicht. Und ich will es auch gar nicht wissen.
    Aber nicht genug damit, dass wir ihm immer auf dem Heimweg von der Schule oder unterwegs in die Bücherei begegnet sind. Bald hast du ihn auch in den Gängen erspäht. Aus dem Erspähen wurde Ausspionieren. Und daraus wurde Stalken. Du hast offiziell noch nicht mal seinen Namen gewusst, da hast du mir bereits aufzählen können, wie viele Jeans er hatte.
    »Ich bin mir sicher, er ist nicht unser Typ«, sagte ich.
    »Unser Typ?«, hast du erwidert. »Ich wusste gar nicht, dass wir einen Typ haben.«
    Ich spielte das Spiel mit, aber ich versuchte, unsere Spionagetätigkeit auf andere Personen umzulenken. Auf Lehrer, bei denen längst ein Nervenzusammenbruch fällig war; auf den blasierten Schülervertretungssprecher, der mit seinem Wunsch, wiedergewählt zu werden, in der nächsten Versammlung kläglich Schiffbruch erleiden würde. Menschliches Elend – ich wollte uns zu Zeugen von menschlichem Elend machen. Und dann musste ich eines Tages länger in der Schule bleiben, weil ich am Mathe-Marathon für die Jüngeren mitgearbeitet habe, und du bist allein nach Hause gegangen. Als er dir diesmal über den Weg gelaufen ist, hast du Hallo gesagt. Und er auch. Und ich kann jetzt für den Rest meines Lebens darüber grübeln, was passiert wäre, wenn ich dich an dem Tag nicht allein gelassen hätte.
    Ich hab nicht geglaubt, dass das mit ihm euch lang dauern würde. Ich habe weiter mitgespielt, aber es fühlte sich nicht mehr wie ein Spiel an. Das erzählen sie einem nämlich nicht, wenn vom Dritten im Bunde die Rede ist. Es ist nämlich nicht so, dass man als Dritter hinzustößt und in einen Bund aufgenommen wird. Man war vorher der Zweite im Bund und ist auf einmal überflüssig. Die Beziehung funktioniert bestens ohne einen.
    »Mach dir mal nicht zu viele Gedanken«, hast du gesagt. »Er wird mich nie so gut kennen wie du.«
    Aber dasselbe hast du ihm auch gesagt. Richtig? Jack hat es mir erzählt. An einem Abend kurz danach. Als das auch schon keine große Rolle mehr gespielt hat.

7 A
    Das nächste Foto hat er bekommen. Es war diesmal größer und befand sich in seinem Spind.

    Beim Mittagessen steuerte Jack auf mich zu und zog mich beiseite. Zuerst kapierte ich gar nicht, was er sagte, und dann machte es mich auf einmal traurig. Trotz allem habe ich es nämlich vorher irgendwie als eine Auszeichnung empfunden, dass nur ich die Fotos bekam. Obwohl ich dabei beinahe durchgedreht wäre.
    »Ein Grabstein«, sagte ich, als er es mir zeigte.
    »Ja, das weiß ich.«
    »Ich kann damit nichts anfangen.«
    Daraufhin guckte mich Jack so komisch an.
    »Hast du wirklich keine Ahnung, was das ist?«
    Ich schüttelte den Kopf. Mir war vollkommen schleierhaft, wovon er redete.
    Jetzt starrte er mich an.
    »Evan, ich muss das unbedingt wissen: Hast du das Foto in meinen Spind gesteckt?«
    »Hallo? Was soll das denn jetzt?«
    »Wenn das einer deiner kranken Scherze ist, dann meinetwegen. Ist ja auch in letzter Zeit für dich nicht einfach gewesen. Aber komm mir nicht so.«
    Das traf mich. Ich war bisher immer davon ausgegangen, dass wir so etwas wie eine Vertrauensbasis hatten.
    »Jack«, sagte ich. »Ich hab das Foto nicht in deinen Spind getan. Ich hab es noch nie gesehen.«
    »Sie hat es dir nie gesagt?«
    »Was denn gesagt?«
    Meine Stimme musste sich ehrlich überrascht angehört haben, denn er entspannte sich etwas.
    »Egal«, meinte er.
    »Nein. Sag es mir.« Obwohl das Foto in seinem Spind gewesen war, gehörte es mindestens zum Teil auch mir.
    »Sie hat es dir wirklich nie gesagt?«
    »Nein.«

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