Mein Ex, der Schneesturm und ich
nach seinem Verschwinden in den Schlaf geweint hatte. Das war jedoch lange vorbei! Also besuchte er seine Schwester – na und? Dann würde sie bei Sandy eben erst nach seiner Abreise auftauchen. Die Chance, dass sie sich zufällig über den Weg liefen, war relativ gering, da Delaney beabsichtigte, das Wochenende vor dem Fernseher zu verbringen.
Selbst für einen Freitagnachmittag war der Parkplatz überraschend voll. Wahrscheinlich, weil Silvester vor der Tür stand und alle Welt sich mit Alkohol und Knabbereien eindeckte. Als Delaney im Supermarkt durch die Gänge schlenderte, stellte sie allerdings fest, dass wohl außerdem ein echter Run auf Brot und Milch stattgefunden hatte.
„Gab es zufällig eine Unwetterwarnung, während ich bei der Arbeit war?“, fragte sie beim Bezahlen Cindy, die Kassiererin.
Cindy verdrehte die Augen. „Nicht dass ich wüsste. Es soll nur ein bisschen schneien, aber die Leute horten Vorräte, als stünde uns ein Schneesturm wie ‘98 bevor.“
„Oh ja, der war schlimm.“ Delaney hoffte inständig, dass die Stadt nicht mehr so bald von einem Unwetter dieser Größenordnung heimgesucht wurde, insbesondere, weil sie sich als freiwillige Katastrophenhelferin gemeldet hatte. Sollte eine Notunterkunft in der Stadt errichtet werden, würde sie zum Dienst einberufen werden.
Sie fuhr über die Straße nach Hause, die einige Meilen an der Küste entlang verlief und dann wieder Richtung Inland und an dem Haus vorbei, in dem Delaney wohnte. Schon seit ihrer Kindheit lebte sie dort, und nachdem ihre Eltern vor drei Jahren beschlossen hatten, nach Florida umzusiedeln, hatte sie es von ihnen gemietet.
Autofahren übte stets eine beruhigende Wirkung auf sie aus und gerade heute hatte sie das bitter nötig, weil sie Brody aus dem Kopf bekommen musste. Der Mann war Geschichte!
Delaney hielt an einem Aussichtspunkt, holte einen Müsliriegel aus der Einkaufstüte, legte ihn nach kurzem Zögern aber wieder zurück und nahm sich stattdessen einen Schokoriegel. An einem Tag wie heute brauchte sie Schokolade.
Ausgerechnet jetzt erspähte sie in der Ferne, jenseits des winterlich-grauen Ozeans, das Dach des Anwesens der Familie Ambroise und musste dabei wie immer an Brody denken. Das wunderschöne Haus lag idyllisch auf einer vorgelagerten Landzunge. Früher hatte sie davon geträumt, eines Tages im Lotto zu gewinnen und es zu kaufen. Brody hätte seinen Job als Fischer an den Nagel gehängt und sie beide hätten eine Familie gegründet und das Haus mit Kinderlachen erfüllt.
Doch das Schicksal wollte es anders. Sophie Ambroise war gestorben und Delaney wusste dank ihrer Tätigkeit im Rathaus, dass aus dem Anwesen ein Geschäftsgebäude werden sollte. Sicher dauerte es nicht mehr lange, bis jemand ein Hotel daraus machte. Brody hatte die Stadt verlassen und der erhoffte Lottogewinn war ebenfalls ausgeblieben.
Delaney fühlte sich genauso aufgewühlt wie das tosende Meer. Sie ließ den Motor wieder an und schlug den Nachhauseweg ein. Sie plante, das Wochenende mit Fernsehen, ein paar guten Büchern und einer Familienpackung Eis zu verbringen, die im Supermarkt fast wie von selbst in ihrem Einkaufswagen gelandet war.
Am Montagmorgenwürde sie wieder zur Arbeit gehen, Brody würde dahin verschwinden, wo er hergekommen war, und das Leben konnte weitergehen.
Alles war genau geplant: Sonntag nach Portland fliegen, Auto mieten – in Anbetracht des zu erwartenden Schneefalls ein Allradmodell – und nach Tucker’s Point fahren, seinen neugeborenen Neffen gebührend bewundern, dort übernachten und Montagmorgen sofort wieder abreisen.
Brody Rollins hatte nicht vor, auch nur eine Minute länger als unbedingt nötig in seiner Heimatstadt zu verbringen. Vor fünf Jahren war er abgehauen und hatte eigentlich geglaubt, dass ihn keine zehn Pferde jemals wieder zurückbringen würden. Doch dann hatte seine einzige Schwester Sandy ihr erstes Kind bekommen. Seitdem hatten sie oft miteinander telefoniert und Sandy hatte ihm deutlich zu verstehen gegeben, wie viel es ihr bedeutete, dass ihr Bruder den kleinen Noah kennenlernte. Schließlich war sein Entschluss, nie wieder einen Fuß in den Staat Maine zu setzen, ins Wanken geraten.
Er passierte das Ortsschild mit der Aufschrift „Willkommen in Tucker’s Point“ und ließ sich, obwohl er die Gegend gut kannte, vom Navigationssystem des Mietwagens von der Route 1 aus durch die Stadt leiten. Zum Glück war Sandys Ehemann Mike kein Fischer, sondern arbeitete
Weitere Kostenlose Bücher