Mein Ex, der Schneesturm und ich
und das Verlangen danach, sich in seine Arme zu werfen, waren deutliche Anzeichen dafür, dass Brody Rollins vor ihr stand.
Aus dem Babysitz, den Sandy trug, ertönte ein unzufriedenes Quaken. Delaney nutzte es als willkommenen Vorwand, um sich von Brody abzuwenden. Ein Neugeborenes unter all den Menschen in der Notunterkunft stellte eine Herausforderung dar. Die meisten Flüchtlinge waren sowieso schon schlechter Stimmung, weil sie ihr Zuhause verlassen und stattdessen in einer Turnhalle auf Feldbetten kampieren mussten. Ein Baby, das auch nachts lautstark schrie, wenn es Hunger bekam, würde die bereits bloßliegenden Nerven noch weiter strapazieren.
„Okay“, sagte sie und setzte eine professionelle Miene auf. „Dann tragen wir euch mal in die Liste ein. Sandy, wir verfügen nur über eine sehr begrenzte Anzahl an Sichtschirmen, aber ich werde zusehen, dass du einen bekommst.“
Sie notierte Sandys Namen und Adresse. Der nüchterne Registrierungsvorgang beruhigte ihre aufgewühlten Nerven ein wenig. Gesundheitliche Auffälligkeiten gab es keine zu vermerken, abgesehen davon, dass Sandy erst vor zwei Wochen entbunden hatte. Delaney notierte, welche Medikamente Mutter und Kind einnahmen. Dann musste Sandy eine Erklärung unterzeichnen, mit der sie die Verhaltensvorschriften der Unterkunft anerkannte und versicherte, sie zu befolgen. Alles war gut, bis Brody zu ihr kam und ihr Klemmbrett und Stift aus der Hand nahm.
Er duftete fantastisch nach einem dezenten, äußerst maskulinen Herrenparfum. Er roch nach Geld, dachte sie, so ganz anders als der Brody, den sie von damals kannte.
Wahrscheinlich war das kein Zufall. Delaney erinnerte sich wieder daran, wie viel Zeit er früher in der Dusche verbracht hatte. Vor jeder Verabredung mit ihr hatte er versucht, den Fischgeruch von seiner Haut abzuschrubben. Er hasste diesen Geruch und schämte sich dafür, obwohl sie sich nie darüber beklagt hatte.
Sobald er seinen Namen in die Liste eingetragen und ihr das Klemmbrett zurückgegeben hatte, ging sie so unauffällig wie möglich auf Distanz zu ihm. „Ich quartiere euch in der Ecke ein. Dort habt ihr es relativ ruhig und Noah kann vielleicht ein bisschen schlafen.“
Sie brachte Brody und Sandy zu ihren Schlafplätzen und steuerte dann die Doppeltür an, die zum Hauptkorridor der Schule führte. Ein Schild verkündete: Zutritt nur in Begleitung eines Helfers . Delaney schlüpfte aus der Halle, ließ die Türflügel hinter sich zuschwingen, trat zur Seite und lehnte die Stirn an die Wand.
Auf der ganzen Welt gab es nicht genug Eiscreme, um diesen Tag noch zu retten.
Warum musste dieser Mann auch so gut aussehen? Die vergangenen fünf Jahre hätten ihn doch wenigstens ein bisschen in Mitleidenschaft ziehen können. Aber nein, er sah so blendend aus, dass sie selbst einen Blick riskiert hätte, wenn er ihr als Unbekannter auf der Straße begegnet wäre. Aber dieser verführerische Kerl war kein Fremder, sondern der Mann, den sie einmal von ganzem Herzen geliebt hatte, und das brachte sie völlig durcheinander.
Nein, sie durfte jetzt nicht die Fassung verlieren. Delaney atmete tief durch, richtete sich kerzengerade auf und marschierte zu dem Schrank, in dem sie die wenigen Sichtschirme aufbewahrten, die ihnen zur Verfügung standen. In der Turnhalle konnten sie sie unmöglich lagern, denn dann hätten sich die Leute wahrscheinlich um sie geprügelt.
Sie würde Sandy den Paravent bringen undsich dann wieder ganz ihrer Aufgabe widmen. Brody würde sie, so gut es ging, ignorieren – obwohl sie im Grunde etwas ganz anderes wollte. Dank seines unverhofften Auftauchens spukten ihr nun wieder all die Fragen im Kopf herum, die sie ihm in den vergangenen Jahren nicht hatte stellen können.
Warum hatte er ihr nicht gesagt, dass er die Stadt verlassen wollte? Warum hatte er sich nicht zumindest verabschiedet? Hatte er auch nur eine Sekunde lang erwogen, sie zu bitten, mit ihm zu kommen, oder hatte er bewusst nicht nur Tucker’s Point, sondern auch sie hinter sich gelassen? Warum hatte er sie nicht genug geliebt, um zu bleiben?
Sie würde ihm allerdings nicht die Genugtuung verschaffen, ihn auf all diese Punkte anzusprechen. Schon gar nicht in Gegenwart all ihrer Bekannten und Freunde. Die Antworten, die er ihr geben könnte, würden sowieso nichts mehr ändern, sondern höchstens alte Wunden aufreißen. Brody hatte in all den Jahren immer gewusst, wo er sie finden konnte. Wenn er sie zurückgewollt hätte, hätte er zu
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