Mein Freund, der Mörder Kommissar Morry
fügte sich John Dallas dem Befehl. Seine Augen irrten unstet hin und her, verfolgten jeden Handgriff des Kommissars. Er sah, daß Morry das kleine Loch in der Eckkante entdeckte, daß er seinen Zeigefinger hineinbohrte, ein paar weiße Stäubchen zum Vorschein brachte und an die Lippen führte.
„Ich glaube, diesmal sind wir am Ziel“, sagte der Kommissar zufrieden. „Ich werde das Paket im Yard noch genauer untersuchen lassen. Dann dürfte die Stunde für Sie geschlagen haben, Mr. Dallas. Schließen wir eine Wette ab?“
„Scheren Sie sich zum Teufel“, preßte John Dallas zwischen den Zähnen hervor. „Ich wünsche Ihnen, daß Sie sich Hals und Beine auf dem Heimweg brechen.“
Schon wollte er sich verdünnisieren, als ihn der Kommissar noch einmal zurückrief und ihm mit verblüffend höflicher Geste eine Visitenkarte in die Hand drückte — in aller Freundschaft und zur Erinnerung, wie er lächelnd dabei versicherte. Mit einem wütenden Fluch zerriß John Dallas das Kärtchen und verschwand eilig im Nebeldunst. Er wußte sehr gut, wem Morry seine Visitenkarte im allgemeinen zu überreichen pflegte. Man konnte sie ebensogut als einen Gutschein für eine langjährige „Erholung“ auf Staatskosten betrachten. An und für sich hatte Dallas mit seiner sofortigen Verhaftung gerechnet. Um so glücklicher war er, daß man ihn nodi einmal entschlüpfen ließ. Jetzt hieß es die Stunden nützen. Zum Feiern bestand ohnedies kein Anlaß mehr. Er mußte sofort nach Hause.
Als er an der Schleuse ankam, war er völlig außer Atem. Keuchend stieß er die Luft aus den Lungen. Müde stolperte er die Stiege hinauf.
An der Kammertür Mara Revells blieb er stehen und rüttelte an der Klinke. „He!“ schrie er grob. „Wie kannst du noch pennen, wenn es mir an den Kragen geht. Mach gefälligst auf!“
Mara Revell erschien im dünnen Hemdchen und mit nackten Beinen. Ein flirrender, begehrlicher Blick streifte sie. Eine dichtbehaarte Hand faßte nach ihrem Arm. Ein flauer, stoßweiser Atem strich über sie hin.
„Nicht“, wehrte sie angewidert ab. „Du weißt doch, was ich von dir halte. Laß mich zufrieden!“ John Dallas drängte sie grob ins Zimmer zurück und warf die Tür hinter sich zu.
„Ich habe mit dir zu reden“, brach es hastig von seinen Lippen. „Du wolltest doch schon immer gern weg aus London, he? Den Wunsch kann ich dir jetzt erfüllen. Wir werden noch in der kommenden Nacht verschwinden. Vorher allerdings müssen wir die Sache mit Ray Mortimer erledigen. Ich brauche das Pulver von ihm. Es ist soviel wert wie Bargeld. Erlebte eben eine verdammte Pleite im Geschäft.“
„Gib dir keine Mühe“, sagte Mara Revell trotzig. „Ich gehe nicht mit dir. Früher wäre ich vielleicht so dumm gewesen. Aber heute weiß ich, daß ich allein anständiger durchs Leben komme.“
„Das ist doch alles Quatsch“, schrie John Dallas wütend. „Seit wann lehnst du dich gegen meine Befehle auf? Du hast dich zu fügen, weiter nichts. Andernfalls würde ich dich kurz und schmerzlos in die Hölle schicken.“
Mara Revell schwieg. Eine steile Falte grub sich in ihre Stirn. Hochmütig blickte sie an ihrem einstigen Freund vorüber.
„Du wirst genau das tun, was ich dir jetzt sage“, herrschte sie John Dallas an. „Du wirst Ray Mortimer in seine alte Wohnung begleiten und ihn dort aushorchen. Vielleicht hat er das weiße Pulver in seiner Bude versteckt. Wir konnten es bisher nicht entdecken. Aber er selbst wird das Versteck sicher finden. Ich komme zwei Stunden später nach. Wenn es klappt, sind wir um zehntausend Pfund reicher. Mit diesem Geld läßt es sich schon türmen. Ich verlasse mich auf dich. Mach keine Dummheiten! Du wirst auf jeden Fall beobachtet. Solltest du eine Falschheit im Schilde führen, so weißt du ja, was dir blüht.“
Er ließ Ray Mortimer erst in der Abenddämmerung frei. Es erschien ihm sicherer. Er wollte nicht ein zweites Mal an diesem Tag mit dem gefürchteten Kommissar zu tun haben.
„Ihr nehmt den kürzesten Weg“, schärfte er Mara Revell noch ein. „Auf keinen Fall betretet ihr ein Lokal, verstanden? Zwei Gelbe werden euch ständig auf den Fersen bleiben. Denke daran!“ Mara Reveli duckte sich vor seinen harten Worten. Sie sah, daß er seine Drohungen ernst meinte. In seinen Augen standen Tücke und Gemeinheit zu lesen.
„Los jetzt!“ zischte er ungeduldig. „Warte draußen auf der Straße.“
Mara Revell gehorchte ohne Widerspruch. Sie zog sich rasch an, kämmte die
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