Mein Freund Dewey, der beruehmteste Kater der Welt
hatte nur fünf Minuten dort gelegen.
Menschen vergessen, Katzen nicht. Dewey merkte sich jede Schublade, die einen Spalt weit offen stand und kehrte in der Nacht zurück, um sich hineinzuquetschen. Den Inhalt der Schublade brachte er nie in Unordnung. Am nächsten Morgen waren einfach nur die Gummibänder verschwunden, die sich darin befunden hatten.
Eines Nachmittags ging ich an unserem großen, deckenhohen Vorratsschrank vorbei. Ich dachte an etwas anderes und bemerkte die offene Tür nur aus dem Augenwinkel.
»Moment mal! Habe ich da gerade etwas gesehen …?«
Ich drehte mich um und ging zum Schrank zurück. Und natürlich saß da Dewey auf einem Regalbrett. Aus seinem Maul hing ein großes Gummiband.
Du kannst mich nicht aufhalten! Das hier wird mir eine ganze Woche lang reichen!
Ich musste lachen. Im Großen und Ganzen war Dewey das artigste Kätzchen, das ich je gesehen hatte. Er warf nie Bücher oder ausgestellte Gegenstände von den Regalen. Wenn ich ihm etwas verbot, hörte er meistens damit auf. Er war zu den Angestellten und zu den Besuchern gleichermaßen lieb. Für eine junge Katze war er wirklich sehr ruhig. Nur wenn es um Gummibänder ging, war er unverbesserlich. Er würde alles tun, um ein Gummiband zwischen die Zähne zu bekommen.
»Bleib so, Dewey«, sagte ich zu ihm und legte die Sachen ab, die ich gerade mit mir herumgetragen hatte. »Ich will nur ein Foto machen.«
Doch als ich mit der Kamera zur Stelle war, waren Kater und Gummiband verschwunden.
»Vergewissert euch bitte, dass alle Schränke und Schubladen geschlossen sind«, erinnerte ich die anderen.
Dewey hatte eine Schwäche dafür, sich in Schränken einschließen zu lassen, und dann denjenigen anzuspringen, der den Schrank öffnete. Wir überlegten lange, ob er sich aus Versehen oder mit Absicht einsperren ließ, aber Dewey machte es ganz offensichtlich Spaß.
Einige Tage später lag ein Stapel loser Karteikarten auf meinem Schreibtisch. Bisher hatte sich Dewey noch keine Gummibänder geholt, die etwas zusammenhielten, doch ab jetzt biss er sie jede Nacht durch. Obwohl wir ihn in die Enge getrieben hatten, war er – wie immer – auch jetzt noch ausgesprochen rücksichtsvoll: Die Karteikarten lagen perfekt übereinander. Keine einzige ragte aus dem Stapel heraus.
Von da an legten wir auch die Karteikarten in die Schubladen und schoben diese sorgfältig zu.
Nach neun Monaten konnte man in der Stadtbibliothek von Spencer einen ganzen Tag verbringen, ohne ein einziges Gummiband zu sehen. Es gab sie zwar noch, aber sie wurden an Orten verwahrt, wo sie nur für Lebewesen mit Fingern zu gänglich waren. Wir hatten eine sehr effektive Bereinigungsaktion durchgeführt. Es gab nur noch ein Problem: Dewey verspeiste weiterhin Gummibänder.
Ich stellte ein Ermittlungsteam zusammen. Wir brauchten zwei Tage, um Deweys letzte Gummibandquelle zu entdecken: den Kaffeebecher auf Mary Walks Schreibtisch.
»Mary«, sagte ich und blätterte in einem Notizbuch wie der Inspektor in einem Fernsehkrimi, »wir haben Grund zur Annahme, dass die Gummibänder aus deinem Kaffeebecher stammen.«
»Das ist nicht möglich. Ich habe Dewey nie in der Nähe meines Schreibtischs gesehen.«
»Beweise deuten darauf hin, dass der Verdächtige deinen Schreibtisch absichtlich meidet, um uns auf eine falsche Spur zu locken. Wir haben Grund zur Annahme, dass er sich dem Becher nur nachts nähert.«
»Was denn für Beweise?«
Ich zeigte auf die am Boden verstreut liegenden Gummibandstückchen. »Er zerkaut sie und würgt sie wieder heraus. Sie sind sein Frühstück. Ich glaube, weitere Erklärungen kann ich mir sparen.«
Mary schauderte es bei dem Gedanken, dass die Gummistückchen zu ihren Füßen in den Magen einer Katze und wieder daraus hinausgewan dert waren. Dennoch war sie noch nicht ganz überzeugt.
»Der Becher ist 15 Zentimeter tief. Er ist voll mit Büroklammern, Heftklammern und Stiften. Wie kann er die Gummibänder herausangeln, ohne den Becher umzukippen?«
»Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und seit sich der Verdächtige hier aufhält, hat er gezeigt, dass er einen starken Willen besitzt.«
»Aber hier drin sind nur ganz wenige Gummibänder. Es kann nicht seine einzige Quelle sein!«
»Wie wäre es mit einem Experiment? Du stellst den Becher in einen Schrank und wir werden sehen, ob er am nächsten Morgen immer noch Gummibänder herauswürgt.«
»Aber auf diesem Becher sind die Fotos meiner Kinder!«
»Einspruch stattgegeben. Dann
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