Mein geheimes Leben bei Scientology und meine dramatische Flucht (German Edition)
schien sich auch der Gesundheitszustand seines Sohnes zu verbessern.
Letztlich gefiel es Grandpa, dass Scientology eher eine Philosophie der Selbsthilfe als eine Religion war. Statt über Himmel, Hölle und Sünde zu reden, versprach Scientology bahnbrechende Verbesserungen in Beziehungen und Ehen, im Beruf, in der Kommunikation und beim physischen und psychischen Befinden. Er mochte auch das Utopische daran. Der Mensch wurde grundsätzlich als gut betrachtet, als verantwortlich für sein Seelenheil, doch dieses Seelenheil hing von der Kooperation mit dem Universum ab. L. Ron Hubbard meinte, es sei möglich, die Welt von menschlichem Elend zu befreien, Kriege zu beenden und allumfassende Harmonie zu erzeugen. Es war gleichzeitig idealistisch und rational, und diese Kombination sprach Grandpa an. Es störte ihn nicht im Mindesten, dass Scientology ganz anders war als jede Religion oder Glaubensrichtung, die er bis dahin kennengelernt hatte.
Zwei Jahre, nachdem er die Church für sich entdeckt hatte, entschloss er sich zu dem gewagten Schritt, verkaufte seine drei Wagen und zog von dem Geld mit der gesamten Familie nach Saint Hill Manor ins englische Sussex, wo sich seit über zehn Jahren das Hauptquartier der Scientologen befand.
1959 waren L. Ron Hubbard und seine Familie dorthin gezogen und hatten vom Maharadscha von Jaipur ein fünfzig Hektar großes Stück Land mit einer kleinen Burg gekauft, die zur Zentrale der Church of Scientology wurde. Saint Hill wurde bald Sammelplatz für Scientologen aus aller Welt. LRH war oft dort, arbeitete weiterhin an seinen Forschungen und präsentierte sie, wodurch die Anhänger das Gefühl bekamen, an etwas Neuem und Bedeutsamem teilzunehmen.
Trotz Grandpa Rons Wunsch, in der Nähe des scientologischen Mittelpunkts in Saint Hill zu leben, war mein damals vierzehnjähriger Vater skeptisch. Verständlicherweise war er kaum daran interessiert, aus Pennsylvania nach England zu ziehen und mitten in der Highschoolzeit all seine Freunde zurückzulassen. Schwerwiegender war es jedoch, dass er das Turnen und seinen Traum von Olympia aufgeben musste. Doch mein Großvater tat das, was er für das Beste hielt, und mein Dad folgte ihm, wenn auch widerstrebend.
Die Jahre in England endeten damit, dass mein Vater sich vollkommen Scientology verschrieb. Nachdem er fast ausschließlich von Scientologen umgeben war, widmete er sich immer eifriger der Sache, sodass er mit siebzehn in die Sea Org eintrat und in die Flag Land Base nach Clearwater zog.
Onkel Dave folgte ihm 1976, nachdem er an seinem sechzehnten Geburtstag die Highschool abbrach, um sich ganz der Religion zu widmen. In Clearwater begann Onkel Dave, eng mit L. Ron Hubbard zusammenzuarbeiten, und wurde dafür mit wichtigen Posten belohnt. Schließlich kam er zur internationalen Zentrale in Hemet, Kalifornien, wo er so rasch aufstieg, dass er während L. Ron Hubbards selbst gewähltem Exil zu einer mächtigen Persönlichkeit wurde. Und nun, nach L. Ron Hubbards Tod, war er nicht mehr nur ein bekanntes Gesicht, sondern der Kopf der Church of Scientology.
KAPITEL 3
Das höhere Wohl
Etwa anderthalb Jahre, nachdem mein Onkel an die Spitze der Church gekommen war, wurde das Fountain Building, in dem wir lebten, durch ein Erdbeben schwer beschädigt und daraufhin für unbewohnbar erklärt. Meine Familie zog ins nahe gelegene Edgemont Building auf der Edgemont Street, wo die Wohnungen viel schöner waren. Jede hatte zwei Schlafzimmer, einen kleinen Essbereich, eine Küche und ein kleines Wohnzimmer. Doch obwohl die Wohnungen größer waren, wurde jede von zwei Familien oder zwei Paaren besetzt, daher war es auch hier sehr eng.
Wir teilten uns eine Wohnung mit Mike und Cathy Rinder, alten Freunden meiner Eltern, die ebenfalls überzeugte Mitglieder der Sea Org waren. Mom und Dad belegten ein Schlafzimmer, Cathy und Mike das andere. Justin und ich schliefen im Wohnzimmer in Stockbetten und auf dem Sofa, zusammen mit Mikes und Cathys Tochter Taryn und ihrem Sohn Benjamin James, der nur B. J. genannt wurde. Taryn war mit ihren zehn Jahren etwas jünger als Justin, B. J. hingegen ein paar Monate älter als ich. Wir beide waren damals also zu zweit.
Meine Mom hatte Cathy kennengelernt, als beide als Teenager auf der Apollo stationiert gewesen waren. Dort waren sie enge Freundinnen geworden. Zwar war es ein bisschen merkwürdig, plötzlich mit einer weiteren Familie zusammenzuleben, aber ich mochte Cathys ausgeprägten Sinn für Humor und den
Weitere Kostenlose Bücher