Mein glaeserner Bauch
sprachlos vor Überraschung und vor Glück. Gleichzeitig empfand ich in diesem Moment eine menschliche Nähe zu ihr, die ich aus unseren anderen Begegnungen so nicht kannte.
Ein Urin- oder Bluttest zum Schwangerschaftsnachweis war jetzt nicht mehr nötig. Die Ultraschallaufnahme war eindeutig, so schemenhaft und wolkig sie für mich auch sein mochte. Der Computer hatte einen kleinen Menschen fotografiert, der gekrümmt in meinem Bauch lag und der erst dann in mein Leben gekommen war, als ich aufgehört hatte, auf ihn zu warten.
SSL 32,3 mm stand am unteren Rand des Ultraschallbilds. Scheitel-Steiß-Länge. Und zu der vom Kopf bis zum Po gemessenen Körpergröße kamen ja noch die Beinchen hinzu! 9W6T hieß: neunte Woche, sechster Tag. Nur noch zwei Tage bis zur zehnten Woche. Ein Viertel der Schwangerschaft war dann schon um! Als voraussichtlichen Geburtstermin errechnete der Computer den vierundzwanzigsten Dezember. Weihnachten. Das Fest der Menschwerdung.
Wie heimlicherweise ein Engelein leise mit rosigen Füßen die Erde betritt, so nahte der Morgen . Als Kind hatten mich diese Gedichtzeilen von Eduard Mörike eingewoben in einen märchenhaften Zauber. Wie das Erscheinen der himmlischen Wesen im Lied vom Weihnachtsbaum, an dem die Lichter brennen: Zwei Engel sind hereingetreten, kein Auge hat sie kommen seh’n . Die Schwangerschaft hätte mich nicht stärker überraschen können. Mir war, als wären mir die Engel meiner Kindheit erschienen. Ein verheißungsvolles Glücksversprechen. Ein Wunder, das bereits begonnen hatte.
Mit dreißig hatte ich meinen ersten Beruf an den Nagel gehängt und ein Volontariat beim Fernsehen begonnen, statt endgültig Studienrätin für Englisch und Politik zu werden. Von einer Freundin meiner Familie hatte ich gehört, dass meine Mutter gerne Enkelkinder hätte. Etwas Ähnliches hatte mir auch schon eine Frau in meiner Ausbildungsgruppe erzählt, die sich manchmal richtig ärgerte über die bohrenden Fragen ihrer Mutter. Unser Leben ging doch jetzt erst richtig los, warum sollten wir uns denn schon so festlegen? Meine Mutter will ein Kind von mir, witzelten wir damals abwehrend.
Zu der Zeit war bei mir kein passender Partner in Sicht, der sich über Kind und Karriere gleichermaßen gefreut hätte. Wo gab’s das schon. Andererseits konnte selbst der Heiratsantrag an der Kühltruhe im Supermarkt, von der eine Kollegin in unserer Ausbildungsgruppe erzählte, sie nicht dazu bewegen, die eben bei ihr festgestellte Schwangerschaft fortzusetzen. Der Zeitpunkt schien ihr für ein Kind denkbar unpassend. Unsere Ausbildung verlangte von uns andere Prioritäten.
Ich war mir immer sicher, irgendwann würde ich Kinder haben, nur nicht jetzt gleich. Das Zerrbild von der kinderlosen kühlen Karrierefrau hielt ich für eine gerissene Erfindung von Männern, die uns den beruflichen Erfolg schon im Ansatz vermiesen wollten. Schwanger zu werden war nicht schwer, die Herausforderung bestand vielmehr darin, als Frau eine eigene Existenz aufzubauen, selbstständig zu werden, mit eigenem Beruf und Einkommen. Und darauf kam es doch auch an, wie mir schien. Den Männern ebenbürtig sein. Dafür musste frau etwas tun. Durfte sich nicht länger den Schneid abkaufen lassen. Kinder kriegte frau sowieso. Immer schon.
Es gibt einen Trend in den letzten Jahrzehnten, Elternschaft immer länger aufzuschieben. Das liegt sicher auch daran, dass Menschen kaum noch die früher übliche, sogenannte Hausfrauen-Ehe eingehen. Mit einem Mann als Haupternährer der Familie, mehreren Kindern, die die Frau bis spätestens dreißig zur Welt gebracht hat, und einer dem Mann untergeordneten Rolle. Einer Rolle, die sich für die Frau selbst dann kaum verbessert, wenn sie etwas hinzuverdient.
Familiengründung will heute sorgfältig mit Ausbildung und Berufstätigkeit koordiniert werden und findet auch deshalb immer später statt. Hinzu kommt, dass nur die Hälfte aller zusammenlebenden Paare, ob verheiratet oder nicht, davon überzeugt ist, ihre Beziehung werde ein ganzes Leben lang halten. 4
Inzwischen gibt es nur noch doppelt so viele Hochzeiten wie Scheidungen im Jahr. Wie viele unverheiratete Paare mit Kindern sich trennen, registriert das Statistische Bundesamt nicht. Vor diesem Hintergrund sind eine gute Ausbildung und ein Beruf für viele Frauen auch eine soziale Absicherung und eine wichtige Voraussetzung für die Familiengründung, um gegebenenfalls sich und die Kinder versorgen zu können, wenn die Eltern als
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