Mein glaeserner Bauch
das wird jedoch in der Broschüre nicht deutlich.
Obwohl pränatale Diagnostik meistens tief in das Erleben von werdenden Müttern eingreift, wird auf die möglichen Folgekonflikte für die Schwangere bei einer auffälligen Diagnose und auf das Risiko für das Kind durch die weiterführende Diagnostik in der Broschüre nicht hingewiesen. Und schon gar nicht auf das Recht der Schwangeren, keinesfalls unvorbereitet in diesen Konflikt gebracht werden zu dürfen.
Während es für die meisten Schwangeren heute selbstverständlich ist, die Angebote der Pränataldiagnostik in Anspruch zu nehmen, ist ihnen die Tragweite der Entscheidung für diese Art von Vorsorge meistens nicht bewusst. Worauf sie sich eingelassen haben, erfassen viele erst dann, wenn es zu spät ist. Dann, wenn ihre Kinder schon vor der Geburt in diagnostische Schubladen gesteckt werden. Und natürlich vor allem dann, wenn das Leben ihres Kindes infrage gestellt wird, weil es nicht der Norm entspricht. Die Schwangeren geraten damit in den ethischen Konflikt, über das Leben ihres Kindes, über einen Abbruch der Schwangerschaft entscheiden zu müssen. Die möglichen psychischen Folgen solch einer Erfahrung werden in unserer Gesellschaft oft verschwiegen oder sogar tabuisiert.
Einer Studie zufolge haben selbst Frauen, die sich über mögliche Untersuchungen in der Schwangerschaft gut informiert haben, im Nachhinein das Gefühl, in etwas hineingerutscht zu sein, ohne es wirklich bewusst entschieden zu haben. Weil von allen Beteiligten – sowohl von den Frauen als auch den Ärztinnen und Ärzten – im Vorfeld die bedrohlichen Seiten der Diagnostik ausgeblendet werden. Sie werden verharmlost oder so weit wie möglich verdrängt. 1
Bei den heute üblichen Verfahren der Pränataldiagnostik wird vor allem nach ungeborenen Kindern mit Down-Syndrom gesucht. Trisomie 21, wie das Down-Syndrom auch genannt wird, ist eine sogenannte Chromosomenabweichung, die im Mutterleib nicht therapiert werden kann. Trotzdem gilt die Suche nach der auf das Down-Syndrom hinweisenden verdickten Nackenfalte in Deutschland als Standardprogramm pränataler Vorsorge. Dies betraf bis vor wenigen Jahren besonders Frauen ab fünfunddreißig, da die statistische Wahrscheinlichkeit, ein behindertes Kind zu bekommen, mit dem Alter zunimmt.
Ein Großteil der Schwangerschaften, bei denen Ärzte eine Behinderung des Kindes feststellen, endet mit einem Abbruch der Schwangerschaft. Ist das wirklich der Wunsch aller betroffenen Eltern? Oder ist es weitgehend unbemerkt medizinische Praxis in Deutschland geworden, Vorsorgeuntersuchungen schwangerer Frauen ganz selbstverständlich mit der Aussonderung behinderter Ungeborener zu verknüpfen? Trotz bestehender Gesetze. Ohne die Not der Eltern, die ethischen Fragen und psychischen Folgen angemessen zu berücksichtigen. Als könne man mit dem Abbruch der Schwangerschaft etwas ungeschehen machen.
Weit über neunzig Prozent der Schwangeren, bei deren ungeborenen Kindern eine Trisomie 21 festgestellt wurde, brechen die Schwangerschaft ab. Liegt das an einer eugenischen Grundhaltung der Frauen und ihrer Partner, die ihre Kinder daraufhin überprüfen lassen, ob sie es wert sind, zur Welt zu kommen? Oder spielt nicht auch der defektzentrierte Medizinerblick eine Rolle und eine hochentwickelte Technologie, vielleicht sogar ein stillschweigend bestehender gesellschaftlicher Konsens gegen das Austragen behinderter Kinder – wenig beachtete Aspekte, die alle ihren Teil dazu beitragen, dass werdende Mütter sich und ihr Kind einer Abtreibung ausliefern.
Ein Fachartikel, der die Veränderungen in der gynäkologischen Praxis durch Pränataldiagnostik beschreibt, machte mich bei meiner Recherche zu diesem Thema besonders nachdenklich, denn dort fragt sich eine Gynäkologin: »Haben wir nicht tatsächlich inzwischen eine ›Allianz zur Selektion‹, nie so ausgesprochen, das Wort ist zu sehr negativ besetzt, aber gesellschaftlich toleriert und von den Ärzten und Ärztinnen umgesetzt?« 2
Ich teile ihre Besorgnis. Denn schon lässt sich nachweisen, dass als Folge der immer umfassenderen pränataldiagnostischen Untersuchungen immer weniger Kinder mit Down-Syndrom zur Welt kommen. Und bald soll sogar ein früher Bluttest bei Schwangeren ausreichen, um eine Trisomie 21 nachzuweisen. Schon heute sind die vorgeburtlichen Kontrollen engmaschig und haben vor allem ein Ziel: Kinder mit Down-Syndrom frühzeitig zu entdecken. Mit tödlicher Konsequenz.
Eine Studie der
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