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Mein Glueck

Mein Glueck

Titel: Mein Glueck Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Werner Spies
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gab, mit Sades Maxime in Beziehung brachte: »Das Glück des Bösen und das Unglück der Tugend«. Es war, so bizarr dies auch klingen mag, die Verwaltung der Unordnung, die mich zu dieser verwirrenden »Cäcilie« hinzog. Sie führte die Möglichkeit vor, mit Hilfe weniger Griffe dem Chaos zu entgehen. Collage war wie ein schnelles Aufräumen, das das Durcheinander unter den Teppich kehrte. Das war mir sicherlich zunächst nicht bewusst. Denn auf Max Ernst stieß ich erst später. Es dauerte einige Zeit, ehe ich die wichtigste Welt, die ich kennenlernen konnte, zu betreten wagte.
    Dabei fanden alle meine entscheidenden Begegnungen letztlich unter dem Zeichen einer zerbrochenen Kausalität und Identität statt. Dazu gehörten in erster Linie die Filme der Nouvelle Vague, vor allem die von Godard, in die mich ein überaus beschlagener und unglücklicher Freund aus Rottenburg, Wolfgang Gerstenlauer, bei seinem Besuch in Paris erstmals mitnahm. »À bout de souffle« bestürzte in seiner Fremdartigkeit, von der sich heute kaum mehr jemand eine Vorstellung machen kann. Im nachhinein sehe ich, dass das Neue, das mich bei meiner ersten Begegnung mit Frankreich so beschäftigte, in einigem, was ich zuvor gelesen und liebengelernt hatte, eine Prämonition besaß. Und es ging einem bei diesen Entdeckungen wie bei dem, was Kafka im Tagebuch notierte: »Meist wohnt der, den man sucht, nebenan.« Und das war keinesfalls die amtliche Lektüre, zu der uns Schule und Lehrer aufforderten. Zu dem, was ich früh auf dem Nebengleis entdeckte, gehörte nicht von ungefähr Carl Einsteins unwiderstehlicher Bebuquin oder Die Dilettanten des Wunders , und es waren daneben in erster Linie Kafka, Kleist und die Apokalypse des Johannes. Dazu trat eine Besessenheit, und zwar durch Stifter. Kafka wurde im Gymnasium nicht gelesen, einmal im Internat, während der Exerzitien, brauchte man seinen Namen. Der Jesuitenpater, der uns unterwies, verglich Die kaiserliche Botschaft mit Camus’ Mythos vom Sisyphos. Es waren für ihn diametrale negative Exempel, in denen Sinnwidrigkeit der Welt und unerfüllbare Sehnsucht aufeinanderstießen. Alles, was uns beigebracht wurde, widersetzte sich der Aufklärung, über die ich damals hochnäsig in mein Tagebuch notierte, sie habe es darauf abgesehen, die Bedeutung der Individuation erkennbar zu machen, und zeige doch nur den Bodensatz einer Pfütze.
    Bei dem Versuch der Annäherung an Stifter erlebte ich ein mit allen Fasern erlebtes, unausdenkbares Glück. Stifters im Moment arretierte Beschreibungen, die Gleichsetzung von explodierender Angst mit der Stille des Sees, der die Insel umschließt, auf der Der Hagestolz spielt, das wurde zur fordernden, ständig nachwachsenden Erinnerung. Aus der Rückschau kommt es mir vor, als habe mich dieser See, vergleichbar dem gallertartigen denkenden Ozean in Solaris , nicht mehr losgelassen. Die innige Schönheit der heute für die Deutschen durch ihre Geschichte verwirkte Stifter’sche Landschaft ist unerhört. Um mich auf den »großen achteckigen Stein von der Gestalt eines sehr in die Länge gezogenen Würfels« setzen zu können, der in den Bunten Steinen in der Skizze »Granit« vor dem väterlichen Geburtshaus liegt, pilgerte ich vor Jahren nach Oberplan, südlich vom böhmischen Krumau. Und es gibt wenige Orte, von denen ich derart stark abhängig geblieben bin. Einzelne Ausdrücke, die die Aktion suspendieren, bringen mich zu diesen Büchern zurück. Stoße ich bei Stifter auf Stellen, wie »An der Mitternachtsseite«, setzt unwillkürlich die Lähmung durch Langsamkeit und Dunkel ein. Der Gang Viktors auf die Insel, zum Oheim, zu dem Ort, an dem sich »Unglück und Verschulden« eingeschlossen haben, gewann für mich etwas Initiatorisches. Ich dachte bei der Beschreibung in »Hagestolz« nicht nur an die Toteninsel Böcklins, sondern an den Stummfilm, an schläfrige Fahrten mit der Kamera. Die Schilderung der abendlichen Ankunft am Eisengitter, hinter dem der misstrauische alte Mann als sein eigener Gefangener lebt, kann ich nie lesen, ohne an die Erregung zu denken, die in Murnaus »Nosferatu« ein unvergesslicher Zwischentitel auslöst: »Als er die andere Seite der Brücke erreichte, kamen ihm die Phantome entgegen.« Dieser Texteinschub hatte bereits Breton in Nadja auf geradezu unerträgliche Weise berührt. Die Fahrt Hutters durch die Karpaten zum Schloss des Vampirs, der Wegzug Viktors aus der heimatlichen Welt: Diese beiden Reisen schieben sich für

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