Mein Herz so weiß
Kino jeder zu sich nach Hause geht und wir uns trennen und ich Luisa mit dem Wagen oder mit einem Taxi vor ihre Haustür bringe und dann allein durch die halbleeren und stets gesprengten Straßen fahre, allein zu mir nach Hause, während ich sicher an sie denke und an die Zukunft. Ist man verheiratet, dann wenden sich die Schritte nach dem Kino gemeinsam demselben Ort zu (und erklingen zur Unzeit, denn es sind jetzt vier Füße, die gehen), aber nicht, weil ich beschlossen hätte, sie zu begleiten, nicht einmal, weil es meiner Gewohnheit entspräche, es zu tun und ich es für richtig und höflich hielte, sondern weil jetzt die Füße nicht zögern auf dem nassen Pflaster, noch überlegen, noch ihre Meinung ändern, noch Reue empfinden oder überhaupt eine Wahl treffen können: jetzt besteht kein Zweifel daran, dass wir uns an denselben Ort begeben, ob wir es heute Abend wollen oder nicht, oder vielleicht war es gestern Nacht, als ich es nicht wollte.
Schon auf der Hochzeitsreise, als diese Personenstandsänderung wirksam zu werden begann (und es trifft es nicht ganz, zu sagen, dass sie begann, es ist eine heftige Änderung, die nicht zur Ruhe kommen lässt), wurde mir klar, dass es mir sehr schwer fiel, an Luisa zu denken, und völlig unmöglich war, an die Zukunft zu denken, was eines der größten vorstellbaren Vergnügen für jeden, wenn nicht die tägliche Rettung für alle ist: vage zu denken, die Gedanken zu dem schweifen zu lassen, was kommen wird oder kommen kann, sich ohne allzu viel Bestimmtheit noch Interesse Fragen über das zu stellen, was morgen oder in fünf Jahren aus uns werden mag, über das, was wir nicht voraussehen können. Schon auf der Hochzeitsreise war es, als wäre sie verlorengegangen und als gäbe es keine abstrakte Zukunft, die als einzige zählt, weil die Gegenwart sie nicht zu färben oder sich anzugleichen vermag. Diese Änderung führt also zwingend dazu, dass nichts weitergeht wie bisher, umso mehr, wenn die Änderung, wie allgemein üblich, durch eine gemeinsame Anstrengung eingeleitet und angekündigt wurde, deren hauptsächliche sichtbare Äußerung die künstliche Vorbereitung einer gemeinsamen Wohnung ist, einer Wohnung, die weder für den einen noch für den anderen existierte, sondern von beiden in künstlicher Weise eingeweiht werden muss. Eben diese meines Wissens sehr verbreitete Gewohnheit oder Praxis liefert den Beweis, dass die beiden Eheschließenden bei ihrem Zusammenschluss in Wirklichkeit eine gegenseitige Aufhebung oder Vernichtung voneinander fordern, nämlich die Aufhebung der Person, die jeder war und in die jeder sich verliebt oder deren Vorteile er gesehen hatte, denn nicht immer existiert ein vorheriges Verliebtsein, manchmal existiert es erst im Nachhinein, und manchmal findet es weder vorher noch nachher statt. Kann es nicht stattfinden. Die Vernichtung des anderen, die Vernichtung dessen, den man kennengelernt und mit dem man sich getroffen und den man geliebt hat, geht mit dem Verschwinden der jeweiligen Wohnungen einher oder wird dadurch symbolisiert. So dass also zwei Personen, die gewohnt waren, jeweils für sich zu sein und sich jeweils an einem Ort zu befinden und allein aufzuwachen und oft auch allein ins Bett zu gehen, sich plötzlich künstlich vereint finden in ihrem Schlaf und ihrem Erwachen und ihren Schritten durch die halbleeren Straßen in ein und dieselbe Richtung oder beim gemeinsamen Betreten des Fahrstuhls, wobei der eine nicht mehr Besuch und der andere Gastgeber ist, der eine nicht mehr den anderen abholt oder dieser zu jenem herunterkommt, der im Wagen oder in einem Taxi auf ihn wartet, sondern beide keine Wahl haben, mit Zimmern und einem Fahrstuhl und einer Haustür, die keinem gehörten und nun beiden gehören, mit einem gemeinsamen Kopfkissen, um das sie im Schlaf werden kämpfen müssen und von dem aus sie, genau wie der Kranke, am Ende die Welt sehen werden.
Wie gesagt, dieses erste Unbehagen erfasste mich bereits auf der ersten Etappe unserer Hochzeitsreise, in Miami, einer widerlichen Stadt, die jedoch sehr schöne Strände für Frischverheiratete besitzt, und verstärkte sich in New Orleans und in Mexiko und noch mehr in Havanna, und seit bald einem Jahr, seitdem wir von dieser Reise zurückgekehrt sind und in so künstlicher Weise unsere Wohnung eingeweiht haben, ist es weiter gewachsen oder hat sich in mir, vielleicht in uns, festgesetzt. Das zweite Unbehagen erschien hingegen mit Macht gegen Ende der Reise, das heißt,
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