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Mein Herz so weiß

Mein Herz so weiß

Titel: Mein Herz so weiß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Javier Marías
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wütend, wie jemand, der sich anschickt, eine Rechnung mit der Person zu begleichen, die ihm am nächsten steht oder die er liebt und die ihn ständig ärgert. Es war nicht so, dass sie sich von einem Unbekannten beobachtet gefühlt hätte, der auf dem Balkon eines für Ausländer reservierten Hotels stand, und nun gekommen wäre, um mir meine straflose Betrachtung ihrer Gestalt und ihres linkischen Wartens vorzuwerfen, sondern dass sie plötzlich, als sie den Blick hob, in mir die Person erkannt hatte, auf die sie seit wer weiß wie langer Zeit wartete, bestimmt sehr viel länger als seit dem Augenblick, da ich sie ausgemacht hatte. Sie befand sich noch in einiger Entfernung, sie hatte die Straße überquert, wobei sie keine Ampel gesucht hatte, sondern den wenigen Autos ausgewichen war, sie befand sich am Anfang der Esplanade, wo sie stehengeblieben war, vielleicht, um die Füße und die so außergewöhnlichen Beine auszuruhen oder um sich abermals den Rock glattzustreichen, jetzt mit größerem Eifer, da sie sich endlich dem gegenübersah, der den Fall, den des Rockes, bewerten oder schätzen sollte. Noch immer schaute sie mich an und wandte ein wenig den Blick ab, als machte ihr ein leichtes Schielen zu schaffen, ihr verrutschten einen Moment lang die Augen zu meiner Linken hin. Vielleicht war sie in einiger Entfernung stehengeblieben, um ihren Ärger zu zeigen und dass sie nicht bereit war, ohne weiteres die Verabredung einzuhalten, nachdem sie mich erblickt hatte, so als hätte sie bis vor zwei Minuten nicht gelitten oder keine Beleidigung erfahren. In diesem Augenblick sagte sie weitere Sätze, alle begleitet von der anfänglichen Bewegung des Armes und der gelenkigen Finger, der Gebärde des Packens, als wollte sie damit sagen: »Du, komm her« oder »Du gehörst mir«. Aber mit der Stimme, einer vibrierenden, verstellten und unangenehmen Stimme, wie ein Fernsehansager oder ein Politiker bei einer Rede oder ein Lehrer im Unterricht (aber sie wirkte ungebildet), sagte sie:
    »Du, was machst du denn da? Hast denn du nicht gesehen, dass ich seit einer Stunde auf dich warte? Warum hast du mir nicht gesagt, dass du schon raufgegangen bist?«
    Ich glaube, dass sie es so sagte, mit dieser leichten Veränderung in der Reihenfolge der Wörter und der übermäßigen Verwendung der Pronomen verglichen mit dem, was ich oder jeder andere aus meinem Land gesagt hätte, nehme ich an. Obwohl ich noch immer erschrocken war und außerdem zu fürchten begann, das Geschrei dieser Mulattin könnte Luisa in meinem Rücken aufwecken, konnte ich genauer auf das Gesicht achten, das in der Tat das einer sehr hellen Mulattin war, vielleicht war sie zu einem Viertel schwarz, sichtbarer in den dicken Lippen und in der leicht stumpfen Nase als in der Farbe, die nicht sehr verschieden war von der Farbe der im Bett liegenden Luisa, welche sich seit mehreren Tagen an den Stränden für Frischverheiratete bräunte. Die blinzelnden Augen der Frau erschienen mir hell, grau oder grün oder zumindest pflaumenfarben, aber vielleicht, dachte ich, hatte sie sich gefärbte Haftschalen schenken lassen, ihres mangelhaften Sehvermögens wegen. Ihre Nasenflügel bebten heftig, sie waren geweitet vor Zorn (deshalb lag fliegende Eile in ihrem Gesicht), und sie bewegte übertrieben den Mund (jetzt hätte ich ohne Schwierigkeit von ihren Lippen ablesen können), verzog ihn ähnlich wie die Frauen meines Landes, das heißt, in angeborener Verachtung. Sie kam noch immer auf mich zu, mit wachsender Empörung, da sie keine Antwort erhielt, während sie ständig die gleiche Armbewegung wiederholte, als stünde ihr kein anderes Ausdrucksmittel zur Verfügung, ein langer nackter Arm, der einen raschen, heftigen Schlag in die Luft tat, während gleichzeitig die Finger einen Augenblick lang tänzelten, als wollten sie mich greifen und dann fortschleppen, eine Klaue. »Du gehörst mir« oder »Ich bring dich um«.
    »Bist du blöd oder was? Hast du auch noch die Stimme verloren? Du, warum antwortest du mir denn nicht?«
    Sie war schon recht nahe, sie war zehn oder zwölf Schritte über die Esplanade gegangen, weit genug, dass ihre schrille Stimme jetzt nicht nur zu hören war, sondern auch das Zimmer auszufüllen begann; weit genug auch, glaubte ich, dass sie mich mit Bestimmtheit sehen konnte, so kurzsichtig sie auch sein mochte, und deshalb schien kein Zweifel daran zu bestehen, dass ich die Person war, mit der sie eine wichtige Verabredung getroffen hatte, dass ich

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