Mein Herz springt (German Edition)
Kindergarten abhole, habe ich das dringende Bedürfnis, sie fest und lange in meine Arme zu schließen. Frieda aber scheint meine Gefühlsanwandlung lästig. Sie versucht, sich aus der Umarmung zu befreien, um mit mir schnell die Einrichtung zu verlassen.
Wir gehen zum Spielplatz. Frieda kann es kaum erwarten, an den Klettergerüsten zu turnen und sich wie wild auf der Schaukel zu schwingen. Ich liebe die Ausgelassenheit kleiner Kinder. Sie erfreuen sich an den kleinen Dingen im Leben. Sie lassen sich auf den Augenblick ein, ohne Angst vor Verletzung oder Schmerz. Wenn ich Frieda aus meinem Mutterinstinkt heraus erschreckt zurufe: »Nicht zu hoch!« oder »Nicht so schnell«, strahlt sie und antwortet: »Aber das macht so viel Spaß!« Und oft denke ich für eine Sekunde, wie recht sie hat. Wie lange habe ich schon nicht mehr den Kick eines mit etwas Risiko behafteten Augenblickes verspürt?
Ich sitze auf einer Holzbank und beobachte das Treiben der Kinder und Mütter. Ich hole tief Luft und versuche, die Anstrengung des Tages sacken zu lassen. Ich denke an die Begegnung mit Prof. Clausen vor der Klinik. Die Tatsache, dass er sich an meinen Namen erinnerte, erfüllt mich zugegebenermaßen mit Stolz. Damit hatte ich nicht gerechnet. Es gab keinerlei Veranlassung dazu. Zu unbedeutend war meine Rolle im Zuge unseres ersten Kontaktes.
Doch etwas bewegt mich. Ich kann es nicht beschreiben. Irgendetwas an ihm hat mein Interesse erweckt. Er ist anders als die Männer, die ich bisher kennengelernt habe – und offensichtlich auch anders, als ich ihn auf den ersten Blick eingeschätzt habe. Immerhin hat er trotz seiner eintönigen Ausstrahlung eine Familie. Ist er vielleicht doch ein ganz normaler Arzt, der ein ganz normales Leben führt?
Um meine Gedanken wieder in die Realität zu lenken, appelliere ich an meine Vernunft: »Betty, den siehst du nie mehr! Konzentriere dich lieber auf dein jetziges Leben!« Mit diesem Vorsatz gehe ich zu Frieda, helfe ihr von der Schaukel und schlendere mit ihr Hand in Hand nach Hause.
***
Ich freue mich heute ganz besonders auf das gemeinsame Abendessen mit meinen beiden Lieben. Wieder einmal spüre ich, wie wertvoll es ist, eine Familie zu haben. Ich habe Friedas Lieblingsgericht, Pfannkuchen mit Apfelmus, vorbereitet. Mit großen, strahlenden Augen macht sie sich wie ausgehungert über den vor ihr stehenden Teller her. Zufrieden schaue ich für ein paar Minuten meiner Tochter beim Essen zu. Die Gabel wird schnell durch ihre kleinen, zarten Finger ersetzt. Der Mund ist durch den bis zum Kinn verteilten Apfelmus kaummehr zu erkennen. Kalle und ich zwinkern uns schmunzelnd zu und nehmen uns selbst eine Portion.
Nach dem Essen darf Frieda, wie fast jeden Abend, das »Sandmännchen« schauen. Danach geht es ins Bett. Ich erzähle ihr noch eine Geschichte von der kleinen Prinzessin auf einem benachbarten Planeten und knipse das Licht aus. Als die müden Äuglein zugefallen sind, schleiche ich mich auf Zehenspitzen aus ihrem Zimmer und schließe leise die Tür hinter mir.
Den weiteren Abend lasse ich mit Kalle gemütlich auf dem Sofa ausklingen. Wir machen eine Flasche Rotwein auf und sprechen über unsere heutigen Erlebnisse. Meine Begegnung mit Clausen erwähne ich nicht. Warum sollte ich auch? Ich würde sie schnell vergessen.
Am nächsten Morgen bringt Kalle Frieda in den Kindergarten. Ich kann mich in Ruhe im Bad fertigmachen. Ich creme mich nach dem Duschen ausgiebig mit einer Body Lotion ein. Danach föhne ich mein schulterlanges, dunkelbraunes Haar und ziehe ein paar Strähnen durch das Glätteeisen. Ich habe heute Lust auf violetten Lidschatten und kräftige Wimperntusche. Die Temperaturen lassen ein sommerliches Kleid mit Strickjacke zu. Meine langen, durch die Frühlingssonne leicht gebräunten Beine betone ich durch eine Sandalette mit silberfarbenen Riemchen. So fahre ich nach einer gemütlichen Tasse Kaffee mit dem Fahrrad in die Klinik.
»Betty, was ist denn heute los? Hast du Geburtstag? Hochzeitstag?« Maya nimmt mich im Umkleideraum der Klinik verwundert in Empfang.
»Nein, was soll sein? Kalle hat heute Morgen Frieda weggebracht. Da hatte ich ein bisschen mehr Zeit, mich fertigzumachen.«
»Schaust‘ toll aus – richtig sexy!«, ruft mir Maya, die sich gerade den weißen Arztkittel anzieht, entgegen.
»Danke! Dachte gar nicht, dass ich sonst so ungepflegt daherkomme«, entgegne ich Maya süffisant und tausche mein Sommerkleid gegen die weiße Tracht.
Der
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