Mein Herz springt (German Edition)
schleichen und jedem einen kurzen Gute-Nacht-Kuss geben. In der Wohnung herrscht eine abendliche Stille. Nach einigen Sekunden höre ich Friedas leise Stimme. Sie ist beim Gebet angekommen. Ich gehe vom Flur direkt in die Küche. Dort setze ich Teewasser auf, um es mir gleich mit Frieda auf dem Sofa gemütlich zu machen. Ein kurzer Blick in die Fernsehzeitschrift verrät mir, dass wir nach den Nachrichten besser eine Runde Karten spielen oder einfach nur ein bisschen plaudern. Egal, wie wir die Zeit miteinander verbringen, ich hoffe immer, Frieda von ihrem Schmerz abzulenken. Noch kein einzigesMal haben wir länger über ihre Gefühle gesprochen. Es müssen keine Worte fließen, um der eigenen Tochter Trost zu spenden. So rede ich es mir zumindest ein.
Mit müden Augen kommt Frieda in die Wohnküche. Schweigend setzt sie sich neben mich auf das Sofa, kuschelt sich in die Decke und lehnt ihren Kopf geschmeidig an meine Schulter. Ich genieße diesen Augenblick und lege meinen Arm um sie. Ich kraule Frieda mit meiner Hand am Ansatz ihrer krausen Haare – eine Gewohnheit, die ihr schon als Kind Geborgenheit zu schenken schien. Wir sitzen eine Weile so nebeneinander, bis Frieda sich aus meinen Armen löst, einen Schluck Tee nimmt und beinahe belanglos fragt: »Hast du heute schon mit Papa gesprochen?«
»Ja«, sage ich, »heute Nachmittag, als du mit den Kindern an der Strandbar Eis essen warst.«
»Und, was treibt er so als Strohwitwer?«
»Das Übliche. Tagsüber kümmert er sich um seine heiß geliebten Mandanten und abends verarbeitet er die schwierigen juristischen Sachverhalte auf dem Fahrrad.« Ich lächle Frieda aufmunternd zu.
Mein Mann Kalle war trotz meines Geburtstags nicht mit nach Domburg gekommen. Er glaubte, dass seine beiden »Mädels« – wie er uns liebevoll nannte – einmal in Ruhe Zeit miteinander und den beiden Kindern verbringen sollten. Kalle fühlt sich schon seit jeher mit solchen Gefühlsangelegenheiten unwohl. Nicht, weil es ihm egal ist, was in seiner Tochter vorgeht. Im Gegenteil. Er kann mit Situationen, die das Herz berühren, nicht gut umgehen. Kalle ist ein rationaler Typ. Er verlässt sich bei Problemen, die nicht analytisch erfasst werden können, auf mich. Weil ich das nötige Mitgefühl und die erforderliche Geduld mitbrächte, so sagt er. In der Regel war es auch immer so. Diesmal ist es aber anders. Aber woher soll Kalle das wissen?
Ich stimmte Kalles Vorschlag, ein paar Tage alleine mit Frieda und den Kindern an die See zu fahren, zu. Das bedeutete auch, meinen Geburtstag ohne ihn zu verbringen. Das erste Mal, seit wir uns kennen. Aber es war in Ordnung für mich. Ich brauchte Zeit für Frieda. Und Zeit für mich.
Als ich neben Frieda auf dem Sofa sitze und meine nur noch lauwarme Tasse fest mit beiden Händen umfasse, überkommt mich ein schlechtes Gewissen. In ihren Augen blicke ich auf eine fast 40-jährige glückliche Ehe zurück, während sie gerade mit nackten Füßen über einen glühenden Beziehungsscheiterhaufen läuft. Wie soll ich ihr begreiflich machen, wie sehr ich sie verstehe? Aber eine Erklärung könnte alles zerstören. Und das macht ein Gespräch unmöglich.
Um unser Schweigen zu brechen, entscheide ich mich, mit Frieda den kommenden Urlaubstag zu planen.
»Hast du Lust, morgen mit den Kindern eine Radtour nach Westkapelle zu machen?«
Frieda antwortet nicht. Stattdessen schaut sie mich an und fragt mit verzweifeltem Blick: »Mama, glaubst du, dass ich jemals über die Trennung von Matthias hinwegkommen werde? Dass der Schmerz über die Trennung jemals nachlässt?«
Wieder lege ich meinen Arm um Friedas Schulter. »Ja«, sage ich, »das wird er.«
»Glaubst du, dass Matthias irgendwann zu uns zurückkehren wird?«
Ich schweige. Auf keinen Fall will ich Frieda falsche Hoffnung machen. Ich schweige zu lange.
»Also nein«, entgegnet Frieda und wieder fließen Tränen über ihr zartes Gesicht.
Ich drücke sie jetzt fest an mich. »Alles wird gut«, verspreche ich ihr.
Frieda wendet ihr Gesicht von mir ab. Meine tröstende Floskel reicht ihr nicht. In mir schnürt sich alles zusammen. Zum ersten Mal hasse ich mich für meine Feigheit. Ich stelle meine eigene Unsicherheit über die Probleme meiner Tochter. Gerade jetzt, wo sie mich so sehr braucht.
Ich muss nachdenken – die Vergangenheit noch einmal aufarbeiten. Was hat die Liebe zu einem anderen Mann in mir bewirkt? Was habe ich daraus gelernt? Wieso habe ich trotz all dieser starken Gefühle
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