Mein Herz springt (German Edition)
nie an meiner Ehe mit Kalle gezweifelt? Diese Fragen muss ich beantworten. Nicht nur für mich, vor allem für Frieda.
Als Kalle am übernächsten Tag Frieda und die Zwillinge abholt, bitte ich ihn, dass ich noch einen Tag länger bleiben darf. Er ist erstaunt, fragt mich, was ich denn noch geplant hätte. Meine kurze Antwort, dass ich in Ruhe über Friedas Situation nachdenken müsse, genügt ihm. Mehr noch, sie beruhigt ihn insgeheim. Bin ich es doch, die sich um eine Lösung der Beziehungskrise unserer Tochter bemüht.
Kapitel II
So hatte ich mir mein Leben früher oft vorgestellt: Dass ich später einmal, mit Mitte 60, bei einem Glas Wein am Strand sitze, auf die Endlosigkeit des Meeres schaue und bedeutende Stationen meiner Vergangenheit Revue passieren lasse. Wie fein sortierte Dokumente eines Aktenordners sollten mich diese Erlebnisse begleiten. Einige sollten mich erheitern, andere noch einmal nachdenklich stimmen. Alle sollten mir vergegenwärtigen, dass ich ein erfülltes Leben hinter mir liegen habe. Und die Lebensgeschichten waren nicht nur für mich gedacht. Nein, sie sollten auch als wichtiger Erfahrungsschatz für meine Kinder und Kindeskinder dienen.
Damals hatte ich mir es allerdings leichter vorgestellt. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass meine Tochter eher Sprachlosigkeit in mir auslöst, als dass ich sie mit konkreten Ratschlägen nach einer zutiefst verletzenden Trennung wieder aufbauen könnte. Es gibt keinen Vorgang im Ordner, der genau auf diese Situation passt. Es gibt einen ähnlichen. Ich muss die Parallelen herausarbeiten, den Sinn meiner Erfahrung für Frieda verständlich machen. Aber ist dies überhaupt möglich?
***
Ich habe es mir auf einem Klappstuhl gemütlich gemacht. Die Sonne hat den Zenit bereits vor ein paar Stunden überschritten. Ich schaue auf das glitzernde Meer – mit einem Glas Weißwein in der Hand. Fasziniert stelle ich fest, dass die Realität in der Mitte des 21. Jahrhunderts nur wenig von der damaligenabweicht. Zwar liegen ein paar Jahrzehnte dazwischen, die Erinnerung ist aber in diesem Moment ganz nah.
Bewusst begebe ich mich auf eine gedankliche Reise zurück in die Zeit, die ich heute als die intensivste meines Lebens bezeichne:
Ich war Mitte dreißig und ich lernte das Leben von einer neuen Seite kennen. Genau gesagt: Ich lernte die Liebe von einer neuen Seite kennen. Ich lernte, dass es nicht nur die eine Liebe gab. Es gab mehr. Eine Erklärung dafür hatte ich nicht. Sie war einfach da. Und ich nahm sie an. Vielleicht war ich naiv. Ich dachte anfangs keine Sekunde daran, einen anderen Menschen damit zu verletzen – geschweige denn mich selbst. Ich spürte ein Funkeln in mir, etwas noch nie da Gewesenes. Ich musste es annehmen. Ohne nach der Bedeutung zu fragen. Bedingungslos. So wollte es das Leben.
Woher ich diesen Mut nahm, kann ich bis heute nicht erklären. Ich kam aus einem konservativen, katholischen Elternhaus. Da gab es nur die eine Liebe, die kompromisslose Verpflichtung zu dieser einen Liebe – und das ein ganzes Leben lang. Dann gab es Freundinnen meines Alters. Und auch wenn sie weniger religiös in ihrer Einstellung waren, so hielten sie dennoch an der Überzeugung fest, dass das emotionale Interesse an einem anderen Mann ein klares Signal für fehlende Gefühle in der bestehenden Partnerschaft sei. Nach einigen Ehejahren wich die anfängliche Liebe einfach mehr und mehr einer vertrauten Routine. Das Sich-Einlassen auf andere Männer war die logische Folge. Moralisch nicht verwerflich, da gefühlsmäßig nicht erwähnenswert. Man verliebte sich um des Verliebtseins willen – mehr nicht. Mit wahrer Liebe konnte diese Anziehungskraft offensichtlich nichts zu tun haben.
***
Wenn ich heute auf mein Leben blicke, bereue ich nichts. Ich habe Erfahrungen gesammelt, die mich reicher gemacht und gleichzeitig keinem anderen geschadet haben. Ich habe das Leben ausprobiert und genossen. Ich habe mein Herz geöffnet und bin dabei nicht nur dem wundervollsten Menschen der Welt, meinem Ehemann Kalle, sondern auch etwas ganz tief in mir, der Liebe zu einem anderen, treu geblieben.
Ich nehme einen Schluck Wein und schaue hinauf zu den Wolken. Voller Respekt hole ich in meiner Erinnerung eine der wichtigsten Akten meines Lebens hervor. Dabei mischt sich ein Gefühl der Angst, aber auch des Stolzes in mir. Könnte meine ganz persönliche Lebensgeschichte Frieda aus ihrer Verzweiflung retten? Wird mich Frieda verstehen? Ich lehne mich zurück und
Weitere Kostenlose Bücher