Mein Herz springt (German Edition)
Kapitel I
»Alles Liebe zum Geburtstag, Betty … Dein Hanno.« Das Piepsen meines Handys; sieben Worte im Display; drei Punkte, die immer noch eine unfassbare Nähe beschreiben. Eine Nachricht, die meinen Tag rettet. Meinen Geburtstag.
Noch mehr als 30 Jahre später bringt diese eine Zeile mein Herz zum Springen, meine Knie zum Zittern. Meine Augen füllen sich mit Tränen.
Ich zeichne mit meinem Zeigefinger ein Herz in den feuchten Sand neben meinem Strandstuhl. Die Situation kommt mir komisch vor, fast schizophren. Ich bin mit meiner Tochter Frieda und ihren beiden Kindern nach Domburg, einer Ortschaft an der holländischen Küste gekommen, um Frieda zu trösten, um sie von ihrem Trennungsschmerz abzulenken. Vor sechs Monaten wurde sie von ihrem Mann verlassen. Ohne Vorwarnung. An einem ganz normalen Freitagabend. Wegen einer anderen.
Als mich Frieda fragte, ob ich mit ihr und den Kindern für ein paar Tage an die Nordsee führe, packte ich meine Koffer. Sie brauche Abstand und eine gute Freundin an ihrer Seite, sagte sie. Ich war stolz, dass sie in mir, ihrer Mutter, immer noch mehr als eine vertraute Verwandte sah. Wir hatten seit Friedas Geburt eine enge Beziehung. Vermeintlich schwierige Lebensphasen, wie beispielsweise die erste nicht-bestandene Führerscheinprüfung oder das Scheitern der ersten großen Liebe, meisterten wir in der Regel mit einem Augenzwinkern. Mein Ziel war es seit jeher, Frieda eine gesunde Perspektive auf das Leben mitzugeben. Dinge ins richtige Verhältnis zu setzen, dasPositive aus dem Alltag herauszuziehen, auch einmal ungewohnte Wege zu gehen, kurzum: das Leben zu leben. Das sollte die Botschaft an meine Tochter sein.
Über die letzten Wochen hinweg spürte ich eine Veränderung zwischen uns. Veranlasst durch die Trennung. Frieda erwartete zu Recht Rat und Trost von mir. Ich bin schließlich ihre Mutter. Aber mir fehlten die Worte.
Und diese fehlen mir auch heute noch, in Domburg – weit weg vom Alltag. Ich hoffe, dass meine Anwesenheit ausreicht, um Frieda zu trösten. Ich kann ihren Schmerz nur zu gut verstehen. Ich hatte ihn vor vielen Jahren selbst erfahren. Auf eine etwas andere Art und Weise. Ganz erloschen ist er immer noch nicht. Er ist nicht mehr so frisch wie bei Frieda, dafür scheint er unvergänglich. Und das nimmt mir den Mut, meiner Tochter Hoffnung zuzusprechen.
***
Der Abend bricht an. Es dauert nicht mehr lange und die Sonne wird am Horizont verschwinden. Ich liebe diese Tageszeit, wenn die Eltern ihre Strandmuscheln abbauen und in die Bollerwagen packen. Es kündigen sich Stille und Ruhe an. Übrig bleibt eine fast leere Strandlandschaft mit der ein oder anderen Sandburg und dem Meer, das unendlich auf mich wirkt. Ich sauge ein letztes Mal für heute den Geruch des Salzwassers und das betörende Rauschen der Wellen auf. Ich fühle mich frei. Frei mit meinen Gedanken.
Ich wäre gerne zurück in unserer Ferienwohnung, bevor Frieda die Kinder zu Bett bringt. Auch wenn Frieda es niemals zugeben würde, so weiß ich genau, dass sie besonders in den Abendstunden meine Unterstützung braucht. Fast routinemäßigspult sie die Ins-Bett-Geh-Rituale mit den Kindern ab: Abendessen, Zähne putzen, Gute-Nacht-Geschichte, ein kurzes Gebet und ein letzter Kuss. Für einen Außenstehenden mutet diese Prozedur fast gehetzt, ängstlich an. Bloß kein Gespräch aufkommen lassen. Die Frage der Kinder, wo der Papa gerade ist und was er gerade macht, treibt Frieda unweigerlich Tränen in die Augen. Auch ein halbes Jahr nach der unerwarteten Entscheidung ihres Noch-Ehemannes, sein Leben mit einer anderen Frau fortzuführen, sticht diese Frage Frieda ein spitzes Messer mitten ins Herz. Er hat es sich so leicht gemacht. Er hat sich einfach in eine andere Frau verliebt, sich einfach von der Familie getrennt, sie einfach mit ihren verletzten Gefühlen und den fragenden Kindern zurückgelassen. Und während Matthias – in Friedas Gedanken – gerade mit der anderen von einer neuen Familie träumt, ringt sie um das Überleben. Den Mut zu kämpfen, Matthias zurückzuerobern, hat sie nicht. Viel zu groß ist die Angst vor einer erneuten Niederlage – dem Nein zu ihrer Liebe.
Leise stecke ich den Schlüssel in das Schloss der Ferienwohnung. Ich will vermeiden, dass die Kinder auf mich aufmerksam werden, das Ritual gestört wird. Mir reicht, dass Frieda weiß, dass ich wieder hier und für sie da bin. Wenn die Kinder eingeschlafen sind, werde ich mich auf Zehenspitzen in ihr Zimmer
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