Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben (German Edition)
zunächst einmal sehr weit zu setzen.
Wie oft haben Sie ihn noch gesehen?
Auf unsere Empfehlung suchte er nach der stationären Behandlung eine ambulante Psychotherapie auf, bei einem Kollegen in seiner Nähe. Die Bindung, die er zu mir aufgenommen hatte, war aber so tragend, dass wir regelmäßig in Kontakt blieben. Dadurch, dass meine Klinikzeit Ende 2004 beendet war, hatte ich dann die Möglichkeit, ihn in meiner Praxis weiter zu behandeln. Diese ambulante Therapie umfasste etwa 80 Stunden. Wir führten sie in Krisenzeiten wöchentlich durch. Manchmal gab es auch längere Abstände, weil es ihm gutging und er beschäftigt war. Auch weil dies seiner Art der Beziehungsgestaltung entsprach.
Haben Sie telefonisch Kontakt gehalten?
Ja, wir haben regelmäßig telefoniert. Und in Krisen konnte Sven mich natürlich immer anrufen – das hat er auch getan.
»Sven ist über den Berg«: Zu seiner Therapeutin Nora Maasberg hält Sven Hannawald seit neun Jahren Kontakt.
Wie ging es dann weiter?
Als er aus der stationären Behandlung wieder hinaus ins normale Leben kam, ging es ihm zunächst gut. Dann drängten aber die realen Probleme: Was tue ich? Wie verdiene ich in Zukunft mein Geld? Wo wohne ich? Wie gehe ich mit Partnerschaften um? In welchem Maße kann ich wieder in sportlichen Bereichen wirksam werden? Im Herbst 2004 lasteten diese immer mit Entscheidungen behafteten alltäglichen Probleme so sehr auf ihm, dass nächtliche Grübeleien mit Schlafstörungen und der bereits erwähnten Minussymptomatik neue therapeutische Maßnahmen erforderten. Er begann hier mit einer antidepressiven Medikation, obwohl er seinen Körper nicht sehr gerne »mit diesem Gift«, wie er meinte, belasten wollte. Das ausgewählte Medikament war offensichtlich angemessen, weil die Nebenwirkungen, gemessen an den positiven Wirkungen, vernachlässigbar waren.
Welche Nebenwirkungen könnten denn zum Beispiel belasten?
Symptome wie Mundtrockenheit und Schwindel sind möglich. Auch Gewichtszunahme, Probleme beim Wasserlassen oder Verdauungsprobleme treten manchmal auf. Besonders zu Beginn der Behandlung, sie verschwinden dann später oft. Die Auswahl eines Medikaments braucht Geduld beim Patienten und professionelle Erfahrung vom Arzt. Ich hatte mich mit einem psychiatrisch sehr erfahrenen Spezialisten beraten.
Und was waren die Vorteile?
Sven sagte gerne, »jetzt fühle ich mich wieder neutral«, also gelassener, zuversichtlicher. Das morgendliche Sorgenkarussell, was so erschöpft, stand wieder still. Damit konnte er ein Problem nach dem anderen angehen oder auch wieder einfach Spaß mit Freunden haben. Nach etwa einem Jahr konnte er das Medikament langsam absetzen.
Was waren dann neue Herausforderungen für Sven?
Nach dem, wie er sich jetzt kennengelernt hatte, wollte er mehr für sein Gefühlsleben tun. Dazu gehörte, dass er nach reiflicher Überlegung einen jungen Hund zu sich holte. Hunde brauchen viel Zuwendung, eine gewisse Disziplin und fordern vom Herrchen, dass er Verantwortung übernimmt. Dafür schenkt ein Tier spontane Freude, direkten Kontakt und Lebendigkeit.
Und das sonstige Gefühlsleben?
Dann wollte Sven sich natürlich als Mann erfahren und sich an eine Frau binden. Er wollte sein Nomadentum zwischen Hinterzarten und Burgau, wo seine Eltern wohnen, und Berlin, wo seine Freundin wohnte, hinter sich lassen und eine Familie gründen. Der Abschied von Hinterzarten, die Auflösung der dortigen Wohnung waren für ihn, der nicht gelernt hatte, Abschied zu nehmen, jeweils wichtige Herausforderungen. Dass seine Freundin so bald Nachwuchs ankündigte, löste in ihm natürlich sehr gemischte Gefühle aus, da er ja gerade erst begonnen hatte, sich einer verbindlichen Beziehung zu stellen. Aber die Geburt seines Sohnes machte ihn stolz und glücklich. Nun werden aber durch das Aufwachsen eines Kindes alle Erfahrungen der eigenen Kindheit, die glücklichen wie auch die belasteten, aktiviert. Zusätzlich müssen durch das Entstehen eines gemeinsamen Dritten aus der Zweisamkeit sehr viele Beziehungsthemen neu verhandelt werden. Das ist für alle Paare eine Prüfungszeit, und Sven und seine Partnerin haben sehr miteinander gerungen.
Sven auf dem Weg zu seiner Therapeutin Nora Maasberg. Sein neuer Freund Achilles begleitete ihn (2004).
Wie ging es mit dem Sport weiter?
Im Vorfeld von Olympia 2006 und während der Olympischen Spiele gab es noch mal für ihn die Notwendigkeit, innerlich von seiner Identität als aktiver Sportler
Weitere Kostenlose Bücher