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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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Comeragh, Boggeragh und Monavullag Mountains: als trügen sie weiße Kleider. In diesem Jahr ist der Winter stärker als der Golfstrom. Dabei soll nach dem eigenwilligen Inselkalender seit einem Monat, genau seit dem i. Februar, Frühling sein.
    Und doch trugen die Gepäckhauben der Autos vor mir Eispelze, und auf den Telegraphendrähten hockten, geschrumpft, als hätte die Kälte ihnen das Knochengerüst zusammengezogen, ganze Schwärme trübselig ausschauender Krähen.
    Aber noch vor Killarney brach die Sonne wieder durch, schmolz sie blaue Löcher in den verhangenen Himmel, streichelte sie die kalten Berge mit ihren Strahlenfingern und verschwand dann hinter schweren Wolken so schnell, wie sie gekommen war. »Four seasons on a monday!« sagt der irische Volksmund: Alle Wetter der vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag!
    Was sich während der Weiterfahrt von Glenbeigh bis zum Haus am Kliff nur noch einmal bestätigte.
    Neu ist mir das alles nicht - bin ich doch nicht zum erstenmal in Irland. Die Ouvertüre meiner Begegnungen mit ihm liegt über ein Vierteljahrhundert zurück, und sie verlief so dramatisch, daß ich mich seit jenem Herbst des Jahres 1969 an sein Schicksal gekettet fühle - sowohl an das der katholischen Republik Irland, als auch an das des protestantisch dominierten Ulster, des »anderen Irland«.
     

»Away from England« oder Ein Rückblick
     
    Es ging um eine Fernsehdokumentation über ethnische und konfessionelle Minderheiten im Vereinigten Königreich: Schotten, Waliser, Katholiken in Nordirland.
    Einige Wochen vor der Ankunft unseres Teams in Belfast, nach einem traditionellen Marsch von Protestanten am 12. August 1969 in Londonderry, waren die latenten Spannungen explodiert, hatte die Auseinandersetzung zwischen der protestantischen Mehrheit und der katholischen Minderheit in dem zu Großbritannien gehörigen Teil der ehemaligen irischen Provinz Ulster im Zeichen steter Eskalation gewalttätige Formen angenommen. Überfälle der einen Seite auf die Wohnviertel der anderen und umgekehrt, Barrikaden, Straßenschlachten. Zwei Tage später, am 14. August, trafen auf Anweisung des britischen Premierministers Harold Wilson 6000 Soldaten in Nordirland ein.
    Zunächst waren sie von der sozial und politisch benachteiligten katholischen Bevölkerung freundlich empfangen worden, wie Retter; ein Vertrauensvorschuß, der nicht lange anhielt. Die Truppen waren nicht geschickt worden, um die Minderheit zu schützen, sondern um für »Ruhe und Ordnung« zu sorgen, das heißt, den Status quo, die protestantische Vorherrschaft, aufrechtzuerhalten. Bald flogen Steine.
    Das war die Situation, als wir mit der Fähre von Schotdand in Nordirland eintrafen.
    Am Morgen nach unserer späten Ankunft in einem Belfaster Hotel kam die Nachricht, daß es in der katholischen Falls Road bei schweren Auseinandersetzungen mit britischen Soldaten den ersten Toten gegeben habe. Die Nachricht verbreitete sich rasend schnell in der Hauptstadt.
    Eine Stunde später war das Team am Schauplatz der Tragödie.
    Der Erschossene hieß Danny O’Hagan, ein neunzehnjähriger Elektrikerlehrling. Er lag da, aufgebahrt in seinem Bett, über der Nasenwurzel der kleine Einschuß, wo ihn um drei Uhr früh die Kugel aus einem britischen Gewehrlauf getroffen hatte. Der Hinterkopf war ganz mit Laken und Blumen abgedeckt.
    Neben dem Bett, auf einem Stuhl, der Vater. Er hielt die Hand des Sohnes in der seinen, stumm weinend, ununterbrochen in das Gesicht des Toten starrend und ohne uns richtig wahrzunehmen.
    In einem anderen Zimmer, bei lebendigem Leibe gelähmt vor Entsetzen, die Mutter - mit irrem Blick und ebenfalls bewußtlos für das, was um sie herum vorging. An ihrer Seite die beiden Töchter, die eine älter, die andere jünger als der einzige Bruder.
    Fortwährend kamen Männer und Frauen durchs Treppenhaus in die Wohnung, die einen dem Benehmen nach Freunde und Vertraute der Familie, andere Bekannte, dritte gar Wildfremde, von keinem anderen Wunsch getrieben, als ihre Solidarität zu bezeugen.
    (Ich tat in dieser engen Kleineleutewohnung in einer Nebenstraße der Falls Road etwas, was ich so später nicht wiederholt hätte - nämlich das Leid von Menschen professionell für meine Arbeit zu visualisieren und damit unweigerlich in die Rolle eines TV-Voyeurs zu schlüpfen. Ich habe bis heute ein schlechtes Gewissen, auch wenn wir damals ohne die Erlaubnis der betroffenen Familie keine Aufnahmen gemacht hätten.)
    Aber diese schreckliche

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