Mein irisches Tagebuch
Stunde war die Initialzündung meiner Verbundenheit mit dem irischen Schicksal, verstärkt noch durch die Bilder, die ihr während der Dreharbeiten folgten.
Brennende Autos, ausgeräucherte Häuser, von Bomben zerstörte Straßenzüge; der martialische Anblick und die Allgegenwart der schwerbewaffneten britischen paratroopers, grimmige Gesellen in Fallschirmjägeruniform, das Gewehr schußbereit im Anschlag oder in Kampf- und Panzerwagen mit heulender Sirene durch die Straßen preschend. Der fühlbare Umschlag der Stimmung unter den Katholiken in reinen Haß gegen das Militär nach erbarmungslosen Hausdurchsuchungen; die kompromißlose Haltung versteinerter protestantischer Ultras, deren Gewaltmentalität der ihrer katholischen Pendants in nichts nachstand. Schließlich ein Interview mit dem anglikanischen Eiferer Ian Paisley, schon damals der Repräsentant eines harten Kurses, den ich nach einigen Mühen vor die Kamera bekommen hatte und dessen Wortwahl sowenig Gutes verhieß wie seine Gewißheit: »Gott ist mit uns !«
Am nächsten Tag dann die andere Seite: der ungeheure Haß, mit dem in einer konspirativen IRA-Versammlung, zu der wir Zutritt hatten, der Anführer, das Gesicht im Schatten, in die Linse schrie: » Away from England!« - noch einmal und noch einmal, als könnte er damit nicht aufhören.
Bis in die Mitte der achtziger Jahre bin ich als Fernsehmann noch fünfmal in Irland gewesen, sowohl in der Republik als auch in Nordirland - Erlebnisse, die einen unauslöschlichen Eindruck hinterließen.
Eine dieser Reisen, entlang der gesamten Grenze zwischen der südirischen Republik und Nordirland, von Inishowen Head im Nordwesten bis Dundalk im Osten, brachte einige der fürchterlichsten Erfahrungen meiner Fernsehjahre. Blutige Anschläge von diesseits und jenseits der Grenze, durchgeführt von Kommandos der IRA (Irish Republican Army) und protestantischen Extremistengangs wie der UDA (Ulster Defence Army) oder der UVF (Ulster Voluntary Force). Nächtliche Überfalle auf einsame Häuser und ihre Bewohner; Hinterhalte, Massenschlächtereien mit Maschinenwaffen, die in Tanzveranstaltungen abgefeuert wurden; Verschleppte, die nie wieder auftauchten - wobei sich die eine Seite jeweils auf Untaten der anderen berief und eigene Terroraktionen mit denen des Gegners rechtfertigte. Das alles im Zusammenhang mit Ereignissen, die Jahrhunderte zurückliegen.
Es gab aber auch Tröstliches. Zehn Jahre nach meinem ersten Aufenthalt wollte ich wissen, ob es, jenseits der städtischen trouble areas Belfast, Londonderry, Armagh, mitten in Ulster normale Beziehungen, ja Freundschaften zwischen Katholiken und Protestanten gab. Ich wählte Omagh, County Tyrone, aus, einfach seiner zentralen Lage wegen. Die Überraschung war perfekt, als wir dort am ersten Abend einen ökumenischen Gottesdienst katholischer und protestantischer Frauen filmen konnten und im Verlauf der Dreharbeiten dann auf zahlreiche feste Bande und unerschütter-bare Beziehungen zwischen Familien beider Konfessionen stießen. Spätestens seit jener Zeit mißtraue ich jener Auslese, in der unsere sensationsorientierten Medien nordirische Verhältnisse widerspiegeln, da in der Regel erst berichtet wird, wenn Blut im Spiel ist, ein großer Teil der Wirklichkeit also verdeckt bleibt.
Mein Blick auf Irland und meine unersätdiche Neugierde auf seine Menschen und ihre Geschichte waren nie beschränkt auf den Konflikt in den sechs zu Großbritannien gehörigen Grafschaften von Ulster. Sie bezogen sich immer auch auf das Territorium der Republik Irland mit ihren 26 Counties.
Ich wurde Zeuge des ungeheuren Sprungs nach vorn, den dieser rückständige Staat und seine Gesellschaft seit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1972 getan haben, Zeuge der Modernisierung des äußeren Bildes, der Verwandlung eines buchstäblichen Armenhauses in das freundlichere Gesicht einer Nation, die dabei ist, den Anschluß an die Welt zu finden, von der sie immer getrennt war.
Wo immer ich auch hinkam, habe ich in die verknautschten Physiognomien der Iren geschaut, und versucht, mich ihrem Herz und ihrem Verstand zu nähern; war ich betört von den herrlichen Landschaften; immer wieder angetan von dem unvergleichlich raschen Wechsel seiner Wetter; war ich Gefangener einer vieltausendjährigen Inselgeschichte.
Es ist jetzt zehn Jahre her, daß ich zuletzt dort war, aber das Gebirge meines Archivs spricht beredt dafür, daß ich Irland und seinen Bewohnern immer nahe
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