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Mein irisches Tagebuch

Mein irisches Tagebuch

Titel: Mein irisches Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ralph Giordano
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befühle, das ich von tief innen heraus der Mauer geholt habe, kommt mir ein seltsamer Gedanke: Die letzte Hand, die den Splitter vor mir berührt hat, muß die gewesen sein, die ihn vor undenklichen Zeiten an eben diese Stelle gelegt hat.
    Und noch etwas geht mir an diesem Märztag durch den Kopf, die ganze Zeit schon beim Anblick einer Archäologie, an der sich so urzeitlich und materialisiert ablesen läßt, daß der Mensch seit eh und je des Menschen Wolf gewesen sein muß. Nur daß die Waffentechnik inzwischen vom Steinbeil bis zur Interkontinentalrakete fortgeschritten ist.
    Es sind Assoziationen, die mir das vor 2500 Jahren errichtete Staigue Stone Fort suggeriert und die mir jedes Recht geben, zu erschauern bei der Frage, wie diese Erde und ihre Bewohner in weiteren 2500 Jahren aussehen werden, wenn es sie dann überhaupt noch gibt.
    Den Globus ja, aber die Menschheit auch?
     

God bless you
     
    In Cahirciveen, das manche wohl ein irisches Kaff nennen würden, fühle ich mich von Anfang an wohl. Wobei mich gerade seine unverbergbare Provinzialität anheimelt, ja entzückt. Einzige und eher nicht störende Ausnahme des zivilen Bildes ist ein rifle man vor der Ortsbibliothek - die dem Künstler mißratene Statue eines republikanischen Freiheitskämpfers, der sein Gewehr so krampfhaft mit seinen Händen umschließt, als furchte er, es jeden Augenblick zu verlieren. Außerdem macht es ihn auf seinem grauen Podest nicht anziehender, daß er eine gewisse, wenn auch entfernte Ähnlichkeit mit Mussolini hat, sozusagen eine schmächtige Ausgabe des historischen Duce.
    Sonst aber scheint in Cahirciveen das Bestreben vorzuherrschen, möglichst friedlich miteinander auszukommen. Das gilt auch für den Verkehr, vor allem auf der langen Hauptstraße (die alte Dorfstraße, die, wie in den meisten irischen Kleinstädten, den ländlichen Ursprung der Gemeinde beweist). Schmal ist sie, auf beiden Seiten verstellt durch zahlreiche, gegen alle Parkverbote verstoßende Autos, dazu lärmumtost von Maschinen, die versuchen, die ramponierten Gehsteige zu renovieren und die ohnehin enge Fahrspur an vielen Stellen weiter schmälern.
    Aber o Wunder - am Steuer regiert die reine Höflichkeit, ist Rücksichtnahme selbstverständlich, Verkehrsrowdytum unbekannt. Vor allem aber, mein Ohr vermag es nicht zu glauben: Niemand hupt hier! Oder doch, einmal hat es einen, wenn auch kläglichen Ton gegeben - das Signal meines ansonsten unverwüstlichen Ford klingt schon altersschwach.
    Ich beginne ein ganz ungewohntes Gefallen daran zu finden, daß hier jede Form von Perfektion fehlt, auch gar nicht angestrebt wird, und doch alles funktioniert. Da ist, zum Beispiel, Johnny Clifford, Cahirciveens einziger Automechaniker.
    Eine, sagen wir malerischere Werkstatt als die seine habe ich nie gesehen - ausgeklinkte Wagentüren, Reifenstapel, Gasflaschen verschiedener Größen und Arten, ein aufgebocktes Auto ohne Scheiben, Pappkartons in beeindruckender Zahl, auf dem Boden Schraubenschlüssel, Batterien, ausgediente Schweißapparaturen. Aber wenn mein Wagen bockt, wie gestern, wenn er sein Leben, wieder mal, auszuhauchen scheint - Johnny Clifford hat das Übel durch das Blech hindurch sofort erkannt und in kürzester Zeit behoben.
    Zu etwa einem Zehntel der Rechnung, die bei einer deutschen Werkstatt fällig gewesen wäre.
    Die Jugend versammelt sich zu bestimmten Stunden vor Banks, einem weit überlokal bekannten Laden für Süßigkeiten - Schülerinnen und Schüler des hiesigen Gymnasiums. Die Dreizehn- bis Achtzehnjährigen flirten heftig, lassen darüber einen Bus nach dem anderen unbestiegen abfahren, lutschen hingebungsvoll an ihren Lollis oder schlecken Eis, behalten dabei das andere Geschlecht aber immer scharf im Auge. Junge Gesichter, rote Wangen, Lachen, Freude, Eifersucht. Zwei Mädchen, wagemutiger als die anderen, reißen das Gesetz des Handelns an sich, gehen auf die Jungen zu, sprechen und scherzen mit ihnen, die in John-Wayne-Pose tapfer aus Blechdosen Bier trinken. Das kühnste der Mädchen gibt jetzt einem Mitschüler in gelber Jacke auf einem Rad einen Klaps, schlagender Beweis ihrer Sympathie. Worauf er energisch in die Pedale tritt und mit hochrotem Kopf davonfährt.
    Ich bin mit Maureen verabredet bei Curran’s, Lebensmittel aller Art, ein irischer Tante-Emma-Laden, dessen Stammkundin sie ist.
    Die Besitzerin, zart, mit fistelnder Stimme, und ihr Mann, jünger aussehend, aber älter als seine Frau, rufen Maureen »Darling«, was

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