Mein irisches Tagebuch
sie gerade so zurückgibt - man kennt sich seit der Kindheit.
Ich darf Maureens volle Taschen tragen, bis zu Grudle’s, einer Imbißstube, deren vornehme Leitung und Bedienung sie zu rühmen weiß, als wir eintreten. Trotzdem geht die Heizung nicht oder ist zu niedrig eingestellt - wir behalten unsere Mäntel an.
Dann gibt Maureen die Bestellung auf, ohne mich gefragt oder mir die Karte gegeben zu haben. Dafür zählt sie aber mit verdrehten Augen Nahrungsingredienzien auf, die mir nicht alle geläufig sind, offenbar aber etwas zu tun haben mit der Speise, die sie geordert hat. Ich harre der Dinge, die da kommen sollen, und erfahre dabei, daß sich zwischen Maureen und ihren Tieren, sowohl Schafen als auch Kühen, Hühnern dagegen nicht, mehr als einmal persönliche Beziehungen hergestellt haben und daß Schlachtungen für den persönlichen Verzehr aus diesem Grund unterblieben sind.
Dann werden vor uns zwei dampfende Teller auf den Tisch gesetzt - und zum erstenmal in meinem Leben esse ich Irish stew.
»Wieso?« fragt Maureen, »Sie waren doch schon oft in Irland.«
»Ja«, sage ich, »aber Irish stew habe ich noch nie gegessen. Ich weiß auch nicht, warum.«
»Na und? Schmeckt es?«
Nun verdrehe ich die Augen, ungespielt.
»God bless you«, sagt sie.
Maureen Griffin ist zeit ihres Lebens, von Kindesbeinen an, jeden Sonntag zur Messe gegangen - und so soll es auch heute sein. Also stapfe ich zu ihrem Haus hinüber und mache das Angebot, sie die zehn Kilometer bis zur Kirche an der St. Finan’s Bay hin- und zurückzubringen. Aber Maureen dankt und lehnt ab - die Aufgabe erfülle bereits eine Nachbarin, seit Jahrzehnten schon.
Der Wind röhrt in den Lüften, als ich allein losfahre, und das Wasser der Bay ist aufgewühlt. Züngelnd schlagen die Wögen hoch, zerstäuben am Kliff, rennen immer wieder an und werfen dabei haushohe Wasserschleier gegen die Felsenküste - das ist der bisher stürmischste Tag.
Ich bin lange vor Maureen da.
In der Kirche ist es nur halbwarm, und karg ist sie auch, eher wie in einem protestantischen Gotteshaus. Sie soll kurz nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet worden sein mit den Dollars einer hier geborenen Frau, die als junges Mädchen in die USA ausgewandert und dort durch eine bestimmte Art des Webens zu Reichtum gekommen war. Zwar kehrte sie niemals zurück, stiftete aber als Zeichen ihrer bleibenden Verbundenheit (und wohl auch ihres hochmögenden Status) der winzigen Heimatgemeinde die Mittel für eine eigene Kirche.
Wer nicht weiß, wer die Spenderin war und wie sie hieß, dem wird über sie hier drinnen auf Plaketten, Tafeln und in Zeitungsausschnitten auf mannigfache Weise Auskunft gegeben. »In loving memory of Mrs. Katherine O’Sullivan-Murphy« steht da, und »Our lady of perpetual succour«, womit sich für die bleibende Hilfe der Familie auch nach dem Tod der Mäzenin bedankt wird.
Brennende Kerzen, Heiligenfiguren, jugendliche Ministranten. An den Wänden der Passionsweg Jesu mit seinen vierzehn Stationen. Dann kommt Maureen, bekreuzigt sich, macht die Andeutung eines Kniefalls und geht nach vorn, in einen braunen Wettermantel gehüllt und eine braune Mütze auf dem Kopf. Zunächst macht sie einen Rundgang, verbeugt sich vor den Heiligen, murmelt dazu etwas und setzt sich dann auf ihren Platz in der zweiten Reihe.
Ich lehne hinten an der Wand, zwischen anderen Männern, von denen mir einer ein auf gälisch beschriebenes Papier in die Hand drückt - das ich nicht lesen kann, was ich ihm aber verschweige.
Die Kirche füllt sich, der Priester erscheint und schlägt die Bibel auf, während der Sturm um die Kirche tobt. An der Kanzel steht: »Lord increase my faith - hope - love«.
Ich gehe nach vorn, weil ich sehe, daß Maureen einen Stuhl neben sich freigelassen hat.
Anders als mir angekündigt, wird nicht auf gälisch, sondern auf englisch gepredigt. Es geht um Jesus in der Wüste, doch fällt der Name O’Sullivan-Murphy dabei mehr als einmal.
Jetzt knieen alle nieder, ich auch. Es ist die erste Übung dieser Art in meinem Leben, und etwas verwundert finde ich mich in der ungewohnten Position wieder. Hinten an der Wand wäre ich, vielleicht, stehengeblieben, aber hier, neben Maureen, um alles in der Welt nicht. Auch werde ich nicht um den Bruchteil einer Sekunde eher aufstehen als sie.
Als der Klingelbeutel umgeht, verliert jenseits des Ganges in der ersten Reihe ein grünbehoster Knirps von vier Jahren eine Murmel, die auf die Kanzel zurollt, aber
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