Mein Katalonien
hatte um zehn vor sieben Barcelona verlassen. Wie üblich, hatte es sich der Lokomotivführer anders überlegt. Glücklicherweise konnten wir meine Frau noch rechtzeitig warnen. Der nächste Zug fuhr früh am nächsten Morgen. McNair, Cottman und ich aßen in einem kleinen Restaurant in der Nähe des Bahnhofs zu Abend und entdeckten durch vorsichtiges Fragen, daß der Besitzer des Restaurants Mitglied der C.N.T. und uns wohlgesinnt war. Er vermietete uns ein Dreibettzimmer und vergaß, die Polizei zu benachrichtigen. Es war das erstenmal seit fünf Nächten, daß ich ohne meine Kleider schlafen konnte.
Am nächsten Morgen gelang es meiner Frau, ohne Aufsehen zu erregen, aus dem Hotel zu entwischen. Der Zug fuhr mit einer Stunde Verspätung ab. Ich benutzte die Zeit, um einen langen Brief an das Kriegsministerium zu schreiben. Ich schilderte darin den Fall Kopps, wie er zweifellos irrtümlicherweise verhaftet worden sei, wie dringend er an der Front benötigt würde und wie viele Leute bescheinigen könnten, daß er sich nichts habe zuschulden kommen lassen. Ich weiß nicht, ob irgend jemand diesen Brief gelesen hat, den ich mit einer zittrigen Handschrift und einem noch unbeholfeneren Spanisch auf Blätter schrieb, die ich aus meinem Notizbuch herausgerissen hatte,- meine Finger waren immer noch halb gelähmt. Jedenfalls hat weder dieser Brief noch sonst etwas eine Wirkung gehabt. Während ich heute, sechs Monate nach den Ereignissen, schreibe, ist Kopp (wenn er nicht erschossen worden ist) immer noch ohne Anklage und ohne Gerichtsurteil im Gefängnis. Anfangs erhielten wir ein oder zwei Briefe von ihm, die von entlassenen Gefangenen hinausgeschmuggelt und in Frankreich aufgegeben worden waren. Alle berichteten uns das gleiche – Gefangenschaft in schmutzigen, dunklen Verliesen, schlechte und unzureichende Ernährung, ernste Erkrankung infolge der Verhältnisse im Gefängnis und der Verweigerung ärztlicher Pflege. Diese Angaben wurden mir von verschiedenen anderen englischen und französischen Quellen bestätigt. Kürzlich verschwand er in einem der »Geheimgefängnisse«, mit denen anscheinend überhaupt keine Verbindung möglich ist. Sein Fall ist ein typisches Beispiel für Dutzende oder Hunderte von Ausländern und wer weiß wie viele Tausende von Spaniern.
Schließlich überschritten wir die Grenze ohne jeden Zwischenfall. Der Zug führte die erste Klasse und hatte einen Speisewagen, den ersten, den ich in Spanien gesehen hatte. Bis vor kurzem gab es in Katalonien nur Züge mit einer Klasse. Zwei Polizisten gingen durch den Zug und notierten die Namen der Ausländer, aber als sie uns im Speisewagen sahen, schienen sie von unserer Anständigkeit überzeugt zu sein. Es war eigenartig, wie sich alles verändert hatte. Noch sechs Monate vorher, als die Anarchisten an der Regierung waren, galt man dann als anständig, wenn man wie ein Proletarier aussah. Auf dem Wege von Perpignan nach Cerbères hatte ein französischer Kaufmann in meinem Eisenbahnwagen in vollem Ernst zu mir gesagt: »Sie müssen nicht so, wie Sie aussehen, nach Spanien gehen. Legen Sie Ihren Kragen und Ihre Krawatte ab. In Barcelona wird man Sie Ihnen abreißen.« Er übertrieb, aber seine Bemerkung illustrierte, wie man über Katalonien dachte. An der Grenze hatten die anarchistischen Wachtposten einen vornehm gekleideten Franzosen und seine Frau zurückgeschickt. Ich vermute, sie taten es nur deshalb, weil sie zu bürgerlich aussahen. Jetzt war es genau umgekehrt; bürgerlich auszusehen war die einzige Rettung. Im Paßbüro prüften sie, ob wir im Verzeichnis der Verdächtigen standen, aber dank der Nachlässigkeit der Polizei waren unsere Namen dort nicht vermerkt, nicht einmal der von McNair. Man durchsuchte uns von Kopf bis Fuß, aber wir besaßen außer meinen Entlassungspapieren nichts, was uns in Verdacht bringen konnte. Die Carabineros, die mich durchsuchten, wußten aber nicht, daß die 29. Division zur P.O.U.M. gehörte. So entwischten wir durch den Schlagbaum, und nach sechs Monaten war ich wieder auf französischem Boden. Meine einzigen Souvenirs aus Spanien waren eine Wasserflasche aus Ziegenfell und eine der winzigen Eisenlampen, in denen die Bauern in Aragonien ihr Olivenöl brennen. Diese Lampen haben fast die gleiche Form wie die kleinen Terrakottalampen, die die Römer vor zweitausend Jahren benutzten. Ich hatte sie in einer zerstörten Hütte gefunden, und sie war in meinem Gepäck geblieben.
Schließlich stellte sich aber
Weitere Kostenlose Bücher