Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
Vom Netzwerk:
Seite des Grabens ausgehöhlt hatten. Aber es gab weniger Verluste, als man hätte erwarten können, und die Barrikade wuchs gleichmäßig empor: eine sechzig Zentimeter dicke Mauer aus Beton mit Schießscharten für zwei Maschinengewehre und ein kleines Feldgeschütz. Der Beton wurde mit alten Bettgestellen verstärkt, es war anscheinend das einzige Eisen, das man für diesen Zweck auftreiben konnte.

 
SIEBENTES KAPITEL
     
    Eines Nachmittags sagte uns Benjamin, er brauche fünfzehn Freiwillige. Der Angriff auf die faschistische Feldschanze, der bei einer früheren Gelegenheit abgeblasen worden war, sollte in dieser Nacht durchgeführt werden. Ich ölte meine zehn mexikanischen Patronen, beschmierte mein Bajonett mit Lehm (es verrät die Position, wenn es zuviel funkelt) und packte einen Kanten Brot, ein Stück rote Wurst und eine Zigarre zusammen, die mir meine Frau aus Barcelona geschickt und die ich lange Zeit aufbewahrt hatte. Jeder Mann erhielt drei Handgranaten. Endlich war es der spanischen Regierung gelungen, eine anständige Handgranate zu produzieren. Sie funktionierte nach dem Prinzip der Handgranate von Mills, aber sie hatte statt einem zwei Sicherungsstifte. Nachdem man die Stifte herausgezogen hatte, dauerte es sieben Sekunden, ehe die Bombe explodierte. Ihr Hauptnachteil bestand darin, daß einer der Stifte sehr fest und der andere sehr lose saß. Man hatte also entweder die Wahl, beide Stifte an ihrer Stelle zu belassen und im Notfall den festsitzenden nicht herausziehen zu können oder aber den festsitzenden Stift vorher herauszuziehen und in dauernder Angst zu schweben, ob das Ding in der Tasche explodieren würde. Aber es war eine handlich zu werfende, kleine Granate.
    Kurz vor Mitternacht führte Benjamin uns fünfzehn zum Torre Fabian hinunter. Den ganzen Abend lang hatte es unentwegt geregnet. Die Bewässerungsgräben liefen über, und jedesmal, wenn man in einen hineinstolperte, stand man bis zur Hüfte
    im Wasser. Im Hof der Farm wartete eine in der pechschwarzen Dunkelheit und dem strömenden Regen nur undeutlich erkennbare Gruppe von Männern. Kopp sprach zu uns erst auf spanisch, dann auf englisch und erklärte uns den Angriffsplan. Die faschistische Linie machte hier einen Bogen wie ein L, und die Brustwehr, die wir angreifen sollten, lag auf dem allmählich ansteigenden Boden an der Ecke des L. Ungefähr dreißig von uns, die eine Hälfte Engländer und die andere Hälfte Spanier, sollten unter dem Kommando unseres Bataillonskommandeurs Jorge Roca (ein Bataillon in der Miliz bestand aus ungefähr vierhundert Mann) und Benjamins hinaufkriechen und die faschistischen Stacheldrahtverhaue durchschneiden. Jorge sollte die erste Handgranate als Signal werfen, dann sollte der Rest von uns eine Serie von Handgranaten hinterherwerfen, die Faschisten aus ihrer Befestigung hinaustreiben und sie in Besitz nehmen, ehe sie sich sammeln konnten. Gleichzeitig sollten siebzig Leute der Stoßtruppe die benachbarte faschistische »Stellung« angreifen, die zweihundert Meter weiter rechts von ihr entfernt lag und durch einen Verbindungsgraben zu erreichen war. Um zu verhindern, daß wir uns in der Dunkelheit gegenseitig anschossen, sollten weiße Armbinden getragen werden. In diesem Augenblick kam ein Bote, der sagte, es gäbe keine weißen Armbinden. Aus der Dunkelheit heraus schlug jemand mit klagender Stimme vor: »Könnten wir nicht dafür sorgen, daß statt dessen die Faschisten weiße Armbinden tragen?«
    Wir hatten noch ein oder zwei Stunden Zeit. Die Scheune über dem Maultierstall war durch Artilleriebeschuß so zerstört worden, daß man sich in ihr ohne ein Licht nicht umherbewegen konnte. Die Hälfte des Bodens war durch eine herabstürzende Granate weggerissen worden, dort konnte man sechs Meter tief auf die Steine hinabfallen. Jemand fand einen Pickel und stemmte eine zerbrochene Bohle aus dem Boden. In ein paar Minuten hatten wir ein Feuer angezündet, und unsere durchnäßten Kleider dampften. Ein anderer holte ein Paket Spielkarten hervor. Ein Gerücht – eins der geheimnisvollen Gerüchte, die im Kriege wie ansteckende Krankheiten auftauchen – machte die Runde, wonach sofort heißer Kaffee mit Brandy ausgegeben werden sollte. Begierig stiegen wir die fast zusammenstürzende Treppe hinunter, tappten in dem dunklen Hof umher und fragten, wo wir den Kaffee erhalten könnten. Leider aber gab es keinen Kaffee! Statt dessen rief man uns zusammen, ordnete uns zu einer Linie hintereinander,

Weitere Kostenlose Bücher