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Mein Katalonien

Titel: Mein Katalonien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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aufschließen konnten. Sie schienen einen entsetzlichen Lärm zu machen. Es konnten noch fünfzig Meter bis zur faschistischen Brustwehr sein. Immer tief gebeugt vorwärts. Mit verstohlenem Schritt setzten wir unseren Fuß so sanft auf wie eine Katze, die sich einem Mauseloch nähert, dann eine Pause, um zu horchen, dann ein weiterer Schritt. Einmal hob ich meinen Kopf, schweigend legte Benjamin seine Hand hinter meinen Hals und zerrte mich heftig herunter. Ich wußte, daß der innere Stacheldraht kaum zwanzig Meter von der Brustwehr entfernt war. Es schien mir undenkbar, daß dreißig Mann, ohne gehört zu werden, dort hinkommen könnten. Schon unser Atem genügte, um uns zu verraten, aber irgendwie schafften wir es. Man konnte die faschistische Brustwehr jetzt sehen, ein verschwommener schwarzer Erdhügel, der hoch über uns aufragte. Wieder kniete Jorge und hantierte herum. Schnipp, schnipp. Es gab keine Methode, den Draht geräuschlos durchzuschneiden.
    Das war also der innere Drahtverhau. Wir krochen auf allen vieren hindurch, möglichst noch schneller als vorher. Wenn wir jetzt Zeit hatten, uns zu entfalten, war alles gut. Jorge und Benjamin krochen nach rechts hinüber. Aber die Männer hinter uns, die weiter auseinandergeschwärmt waren, mußten sich in einer Linie hintereinander ordnen, um durch die enge Lücke im Drahtverhau zu kommen. Genau in diesem Augenblick gab es am faschistischen Grabenrand einen Blitz und Knall. Der Wachtposten hatte uns schließlich doch gehört. Jorge balancierte auf einem Knie und schwang seinen Arm wie ein Kegler. Krach! Seine Handgranate platzte irgendwo jenseits der Brustwehr. Sofort, rascher als man es für möglich gehalten hätte, brach der Donner der Schüsse aus zehn oder zwanzig Gewehren der faschistischen Brustwehr los. So hatten sie also doch auf uns gewartet. Für einen Moment konnte man in dem gespenstischen Licht jeden Sandsack sehen. Viel zu weit zurück warfen die Leute hinter uns ihre Handgranaten, einige fielen vor der Brustwehr nieder. Jedes Schützenloch schien Flammenstrahlen auszuspucken. Es ist immer widerlich, wenn man in der Dunkelheit beschossen wird – jedes aufblitzende Gewehr scheint direkt auf einen selbst gerichtet zu sein –, aber die Handgranaten waren das schlimmste. Man kann das Grauen einer in nächster Nähe bei Dunkelheit explodierenden Handgranate nicht ermessen, ehe man nicht dabei war. Während des Tages hört man nur den Explosionskrach. In der Dunkelheit sieht man gleichzeitig den blendend roten Feuerschein. Bei der ersten Salve hatte ich mich niedergeworfen. Während dieser ganzen Zeit lag ich in dem schmierigen Schlamm auf der Seite und zerrte wild an dem Stift meiner Handgranate. Das verdammte Ding wollte nicht herauskommen. Schließlich merkte ich, daß ich ihn in die falsche Richtung drehte. Ich zog den Stift heraus, richtete mich auf meinen Knien auf, schleuderte die Handgranate und warf mich wieder hin. Die Granate zerplatzte zu meiner Rechten, außerhalb der Brustwehr. Die Furcht hatte meine Absicht vereitelt.
    Gerade in diesem Augenblick zerbarst eine andere Handgranate gerade vor mir, so dicht, daß ich die Hitze der Explosion fühlen konnte. Ich drückte mich fach auf den Boden und grub mein Gesicht so hart in den Schlamm, daß ich meinen Hals verrenkte und glaubte, ich sei verwundet. Durch das Getöse hindurch hörte ich eine englische Stimme hinter mir, die gelassen sagte: »Ich bin getroffen.« Die Handgranate hatte tatsächlich mehrere Leute um mich herum verwundet, ohne mich selbst zu berühren. Ich erhob mich auf mein Knie und schleuderte meine zweite Handgranate. Ich habe vergessen, wohin sie flog.
    Die Faschisten schossen, unsere Leute hinter uns schossen, und ich war mir sehr genau bewußt, daß ich genau in der Mitte dazwischen lag. Ich fühlte den Luftdruck eines Schusses und begriff, daß ein Mann unmittelbar hinter mir schoß. Ich stand auf und schrie ihn an: »Schieß nicht auf mich, du verdammter Idiot!« In diesem Augenblick sah ich, wie Benjamin zehn oder fünfzehn Meter von mir entfernt mit seinem Arm zu mir herüberwinkte. Ich rannte zu ihm hinüber. Das heißt, ich mußte das Gelände vor den spuckenden Schützenlöchern überqueren, und während ich lief, deckte ich meine linke Hand über meine Backe. Eine närrische Bewegung – als ob man mit der Hand eine Kugel aufhalten könnte! –, aber ich hatte Angst, im Gesicht getroffen zu werden. Benjamin hockte auf einem Knie, auf seinem Gesicht lag ein

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