Mein Katalonien
zufriedener, etwas teuflischer Ausdruck, und er schoß mit seiner automatischen Pistole sorgfältig auf das Mündungsfeuer. Jorge war bei der ersten Salve verwundet hingefallen und lag irgendwo, wo man ihn nicht sehen konnte. Ich kniete neben Benjamin, zog den Stift aus meiner dritten Handgranate und schleuderte sie fort. Ah! Dieses Mal gab es keinen Zweifel. Die Handgranate krachte in das Innere der Brustwehr, in die Ecke genau neben dem Maschinengewehrnest.
Das faschistische Gewehrfeuer schien sehr plötzlich nachgelassen zu haben. Benjamin sprang auf seine Füße und schrie: »Vorwärts! Angriff!« Wir stürzten den kurzen, steilen Hang empor, auf dem die Brustwehr lag. Ich sage »stürzen«, »poltern« wäre ein besseres Wort, denn man kann wirklich nicht schnell vorankommen, wenn man von Kopf bis Fuß durchweicht und voller Schlamm ist und von einem schweren Gewehr nebst Bajonett und hundertfünfzig Patronen niedergezogen wird. Ich erwartete selbstverständlich, daß ein Faschist oben auf mich warten würde. Wenn er auf diese Entfernung feuerte, konnte er mich nicht verfehlen. Doch irgendwie rechnete ich nicht damit, daß er auf mich schießen würde, sondern nur versuchen werde, mich mit seinem Bajonett anzugreifen. Ich schien schon vorher das Gefühl unserer sich kreuzenden Bajonette zu spüren und ich fragte mich, ob sein Arm stärker sein werde als meiner. Aber kein Faschist wartete auf mich. Mit einem unbestimmten Gefühl der Erleichterung erkannte ich, daß es eine niedrige Brustwehr war und die Sandsäcke dem Fuß einen guten Halt gaben. Normalerweise kommt man schwer über sie hinweg. Innen war alles in Stücke zerschlagen. Überall waren Balken herumgeschleudert und lagen verstreut große Scherben Uralit. Unsere Handgranaten hatten alle Hütten und Unterstände zerstört. Dennoch war nicht eine Seele zu sehen. Ich dachte, sie lauerten irgendwo unter der Erde, und rief in Englisch (ich konnte im Moment nicht an irgendein spanisches Wort denken): »Kommt heraus! Ergebt euch!« Keine Antwort. Dann sprang ein Mann, eine schemenhafte Figur im Halblicht, über das Dach einer der zerstörten Hütten und stürzte nach links weg. Ich rannte ihm nach und stach mein Bajonett ohne Wirkung in die Dunkelheit. Als ich um die Ecke der Hütte kam, sah ich einen Mann – ich weiß nicht, ob es der gleiche Mann war, den ich vorher gesehen hatte –, der den Verbindungsgraben hinauf floh, der zu der anderen faschistischen Stellung führte. Ich muß ihm sehr nah gewesen sein, denn ich konnte ihn sehr deutlich sehen. Er war barhäuptig und schien nichts anzuhaben außer einer Decke, die er um seine Schultern gerafft hielt.
Hätte ich geschossen, würde ich ihn in Stücke geblasen haben. Aber aus Furcht, daß wir einander erschießen könnten, war angeordnet worden, nur die Bajonette zu benutzen, wenn wir einmal innerhalb der Brustwehr seien, und jedenfalls dachte ich selbst niemals daran, zu schießen. Statt dessen sprang meine Erinnerung zwanzig Jahre zurück, und ich dachte an unseren Boxlehrer in der Schule, der mir mit einer anschaulichen Gebärde zeigte, wie er einen Türken bei den Dardanellen mit dem Bajonett erstochen hatte. Ich faßte mein Gewehr an der schmalen Stelle des Kolbens und stieß nach dem Rücken des Mannes. Er war außerhalb meiner Reichweite. Noch ein Stoß: immer noch außerhalb meiner Reichweite. Ein kleines Stück liefen wir so voran, er eilte den Graben hinauf, und ich rannte auf dem Boden oberhalb von ihm, zielte auf seine Schulterblätter und konnte ihn nie ganz erreichen – eine komische Erinnerung, wenn ich heute daran denke, obwohl ich annehme, daß es ihm weniger komisch erschien.
Natürlich kannte er das Gelände besser als ich und hatte sich bald von mir weggestohlen.
Als ich zurückkam, war die Stellung voller schreiender Männer. Der Lärm des Gewehrfeuers hatte etwas nachgelassen. Die Faschisten überschütteten uns immer noch mit heftigem Feuer von drei Seiten, aber es kam aus größerer Entfernung. Zur Zeit hatten wir sie vertrieben.
Ich erinnere mich, daß ich wie ein Orakel sagte: »Wir können diesen Graben eine halbe Stunde lang halten, nicht länger.« Ich weiß nicht, warum ich gerade eine halbe Stunde sagte. Wenn man über die Brustwehr nach rechts sah, konnte man unzählige grüne Mündungsfeuer sehen, die wie Dolche in die Dunkelheit stachen. Aber sie lagen weit weg, etwa hundert oder zweihundert Meter. Unsere Aufgabe bestand nun darin, die Stellung zu durchsuchen und
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