Mein Leben Als Suchmaschine
erfüllt, kriegen sie sogar ihr Geld zurück. Ohne Zicken. Also, seriöser kann ein Geschäft doch wohl nicht sein. Da könnten sich die meisten Banken mit ihren obskuren und windigen Altersvorsorgeangeboten mal ’ne Scheibe von abschneiden.
Aufgeregt beginnt Holger auf und ab zu wippen. Versuche Kontakt zu halten, indem ich mitwippe. Kurz bevor mir schwindelig wird, schaue ich aber doch lieber wieder auf die große Tafel.
Ein Mann kommt angerannt, er scheint besonders verzweifelt. Murmelt ununterbrochen: - Bitte, bitte, bitte … vor sich hin. Hektisch rasen seine Augen über die Anzeigetafel. Plötzlich: - Ah, nach Elsterwerda - fällt aus. Aufgeregt greift er sein Handy, tippt eine Nummer:
- Ja, bin hier am Hauptbahnhof, der Zug fällt aus, ja, da kann man nichts machen, ja ja, sehr ärgerlich, ich meld mich dann, nee, so eine Sauerei…
Dann legt er auf, reißt seine Arme hoch, jubelt und geht fröhlich pfeifend in Richtung Café.
Später am Abend wird sich ein Wirtschaftsexperte auf n-tv wundern, daß trotz mittlerweile mehrfachen Streiks und erheblicher Einschränkungen immer noch eine klare Mehrheit der Bevölkerung großes Verständnis und Sympathie für die Forderungen der Lokführer hat.
Frage Holger, wohin er reisen will. Holger sagt, nirgendwohin, er sei nur gerade in der Nähe gewesen und habe Durst gehabt. Schlage vor, in ein Café zu gehen. Holger wehrt ab:
- Nein, nein, seit die Bahn bei verspäteten Zügen auf dem Gleis Freigetränke anbietet, gucke ich einfach, wenn ich am Bahnhof bin, welcher Zug gerade verspätet ankommt, gehe schnell zum Gleis hoch und nehme mir auf dem Bahnsteig vom gratis angebotenen Orangensaft, Wasser oder Kaffee. Das klappt eigentlich immer ganz gut. Nur manchmal muß ich ein wenig warten, bis endlich ein Zug ausreichend Verspätung für Freigetränke hat. Aber das ist dann schon ungewöhnlich. Irgendein Zug hat normalerweise immer Verspätung. Da ist die Bahn verläßlich.
Ein Fernsehteam spricht uns an. Fragt, ob wir wütend auf die Bahn und den Streik sind. Ich sage lächelnd:
- Nö, eigentlich…
Das Fernsehteam geht weiter.
Zehn Meter entfernt finden sie jemanden mit mehr Pöbelpotential.
- 30 Prozent, brüllt er in die Kamera, ich hätte auch gern 30 Prozent! 30 Prozent!!!
Das Fernsehteam lobt den Mann für seine Authentizität, gibt aber zu bedenken, daß es sogar 31 Prozent sind. In einem kurzen Gespräch entschließt man sich, das Ganze noch mal mit 31 Prozent zu machen. Diesmal wird es sogar noch authentischer.
Holger geht zum Fernsehteam und erklärt sich bereit, Bahnchef Mehdorn zu beschimpfen. Auch gerne ganz wüst und obszön. Der Interviewer winkt ab. Obszöne Mehdorn-Beschimpfungen haben sie schon genug. Die kriegt man ja an jeder Ecke. Aber wenn er was zu Gewerkschaftschef Schell, also zum Beispiel zu dessen Kur oder so, hätte…
Für Holger kein Problem. Er hebt an:
- Jaja, einfach während des Streiks in Kur gehen, so sind se, das können se, andere können sowas nicht, aber die, die können das! Ist doch ’ne Unverschämtheit! Aber was jetzt wirklich jeder kann, ist, sich Warzen wegbesprechen lassen. Einfach www.warze-weg.de, mit voller Geld-zurück-Garantie.
Dabei hält er fröhlich irgendwelche Flyer in die Kamera.
Später, nachdem wir uns unsere Freigetränke vom verspäteten Zug aus Stuttgart geholt haben, beginnt Holger zu träumen:
- Ich hab mir überlegt, Horst, wenn diese Sache mit dem Warzenbesprechen erst einmal gut angelaufen ist, dann biete ich diesen Service auch für andere Dinge an. Also zum Beispiel für Angst oder Schulden oder so komische Geräusche im Auto und so. Das Prinzip ist ja praktisch immer das Gleiche.
Dann kommt er wieder ins Wippen. Sein großes, hoffnungsfrohes Wippen. So aufgeregt und zuversichtlich habe ich ihn tatsächlich nicht mehr gesehen, seit er vor langer Zeit diese Schule für Regentänzer gegründet hatte.
Bergparade
In Chemnitz ist Bergparade. Der gigantische traditionelle Erzgebirge-Adventsumzug. Sowas hab ich noch nie gesehen. Aus dem ganzen Erzgebirge sind alle, aber auch wirklich alle Trachten- und Traditionsgruppen gekommen. Ich meine, das müssen alle sein. Ich hätte nie gedacht, daß das Erzgebirge so groß ist, und vor allem nicht, daß da so viele Menschen leben. Das Ganze ist ein bißchen wie Karneval. Nur ernsthafter, sehr viel ernsthafter. Mit bitteren, vorwurfsvollen Mienen schreitet der Erzgebirgetraditionsverein Frohsinn Rodewisch an mir vorbei. So, als wollten sie sagen:
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