Mein Leben im Schrebergarten
elektrischen Rasenmäher auszuprobieren, den wir von Frau Pflaume geerbt hatten. Sofort meldete sich der Nachbar von links.
»Haben Sie etwa den Beschluss unserer Vollversammlung nicht gelesen? An Fest- und Feiertagen wird nicht gemäht!« Er paffte lächelnd an seinem Zigarettchen.
In der DDR war diese Gartengemeinde bestimmt eine Vorzeigekolonie gewesen. Die Stasi hatte ruhig schlafen können.
Ich stellte den Rasenmäher zurück in die Kammer und nahm die Sichel in die Hand. Ich verstand nun, wozu sie da war – um an Fest- und Feiertagen geräuschlos zu mähen! Das Rasenproblem erledigte sich übrigens am nächsten Tag von selbst. Wir bekamen Besuch. Die Kinder von Frau Krause und die Kinder der Familie Kern kamen, um mit unseren Kindern zusammen zu spielen. Vier fremde und zwei eigene Kinder, das macht zusammen ungefähr zwölf – und die wirkten, als würde sich eine Fußballmannschaft auf zweihundert Quadratmetern auf ein Endspiel vorbereiten. Keine Blume kann das überleben. Andererseits, wo sollten alle diese Kinder spielen, wenn nicht bei uns? Im Garten gegenüber hätten sie die mühsam angelegten runden Kartoffelbeete niedertrampeln, die Sonnenenergiezufuhr stören und die Biosteine durcheinanderbringen können. Bei Krauses im Garten hätten leicht die maladen Tiere verletzt werden können. Und wir wollten doch ohnehin nur grillen …
Als wäre das alles noch nicht demütigend genug gewesen, erzählte mir meine Frau von ihrer letzten Lesung auf einem Literaturfestival in Braunschweig. Die Veranstalter, ein junges Pärchen, meinten, auch sie hätten sich einmal einen Schrebergarten zugelegt. Sie wären die ganze Zeit in der Sonne gesessen, hätten nichts getan und wären nach einem Jahr aus der Gemeinde ausgeschlossen und enteignet worden.
Was also tun? Ich nahm mir vor, irgendwo im Internet dieses Kleingartenschwachsinnsgesetz zu finden, es zu studieren, zur nächsten Vollversammlung zu gehen und ein Gesetz vorzuschlagen, wonach jeder in seinem Garten pflanzen darf, was er will, wann er will und wo er will. Außerdem beschloss ich, ein neues Buch zu schreiben: einen Schrebergartenroman, der sich natürlich entwickeln sollte, von März bis Dezember.
Ende April fing unser Garten an zu blühen. Es blühte, aber es summte nicht. Es müsse aber richtig summen, damit der Garten später Früchte bringen könne, erklärte mir Herr Kern. Wir saßen vor unserer Laube, warteten auf die Hummeln, und ich machte mir Notizen zu meinem neuen Buch.
3 - Notizen zum Schrebergartenroman
Krieg, Liebe, ein Sechser im Lotto und andere prickelnde Ereignisse, die jedes Herz höherschlagen lassen, verblassen völlig neben der Frage nach dem Ursprung des Lebens und dem Kreislauf der Natur. Die Jahrzehnte, die Planeten, das Universum, das Geheimnis um und in uns rauben uns den Schlaf und ruinieren uns den Tag. Was soll das? Wo liegen die Grenzen unserer Zuständigkeit, und wer ist hier für was verantwortlich? Erfüllen wir einen wichtigen Auftrag, oder gehen wir nur spazieren? Die Philosophen der Antike, der Aufklärung und der Moderne zerbrachen sich darüber den Kopf. Viele Leute meiner Generation haben sich ebenfalls mit der Lösung dieses kniffligen Rätsels beschäftigt. Einige trugen schwere psychische Schäden davon, zwei schlossen sich den Zeugen Jehovas an, einer landete wegen eines bewaffneten Raubüberfalls im Knast, einer schoss sich sogar in den Kopf, ein paar behaupteten, erleuchtet worden zu sein, doch keiner fand die Antwort. Niemand hat es geschafft, die Menschheit endlich aufzuklären, im Chaos eine Ordnung zu entdecken, mit der Taschenlampe des Wissens unseren schleierhaften Auftrag auf Erden zu durchleuchten.
Trotz aller Opfer ist die Welt bis zum heutigen Tage unaufgeklärt geblieben, Ursprung und Kreislauf sind noch geheimnisvoller als je zuvor. Für zukünftige Generationen von Forschern, die sich der Frage stellen wollen, hätte ich einen Rat: Studieren Sie das Geheimnis der Natur nicht an sich selbst. Natürlich ist die eigene Person ein bequemes Forschungsobjekt, immer in Reich - weite und stets gesprächsbereit. Leider fehlt ihr jedoch die notwendige kritische Objektivität. Was nützt uns ein Arzt, der seine Forschung danach ausrichtet, den Labormäusen das Leben so angenehm wie möglich zu gestalten? Für eine erfolgreiche wissenschaftliche Arbeit müssen Sie sich aus dem gewohnten Kontext herausbegeben – an einen Ort, an dem es kein Fernsehen, keine Zeitungen und
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