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Mein Leben im Schrebergarten

Mein Leben im Schrebergarten

Titel: Mein Leben im Schrebergarten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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selbstverständlich kein Internet gibt. Kein Ort entspricht diesen Voraussetzungen besser als ein Schrebergarten. Die Natur kommt dort besonders klar zum Vorschein. Suchen Sie Ihren Platz in ihrem Kreislauf.
     
    Der Namensgeber für diese Kleingartenkolonien – Dr. med. Daniel Gottlob Moritz Schreber – arbeitete lange als Leibarzt für einen russischen Fürsten. Er galt als Vordenker der Kindergymnastik und setzte sich für einen gesunden Lebensstil sowie Spaziergänge an der frischen Luft ein, die das Leben verlängern sollten. Er starb mit dreiundfünfzig. Der erste, drei Jahre nach seinem Tod in Leipzig angelegte, Schrebergarten wurde dann nach ihm benannt. Seinem Sohn Daniel Paul Schreber haben frische Luft und Kindergymnastik jedoch nicht geholfen. Er litt ein Leben lang unter einer sehr speziellen Hintern -Paranoia (angeblich hervorgerufen von der Angst vor dem strengen Vater, der Kinder mit Gewalt zum Spielen auf einer grünen Wiese zwang). Mit seiner Paranoia wurde Daniel Paul Schreber neben dem »Wolfsmann« und dem »Rattenmann« zu einem der aufdringlichsten Patienten von Prof. Dr. Freud, der sein Leben lang vergeblich versuchte, sich vor diesen Leuten zu verstecken. Die enge Verbundenheit mit dem Arzt, die während der ersten Behandlung Schrebers entstand und alle Eigenschaften einer erotischen Neigung annahm, erklärte sich Freud mit Schrebers unterdrückter Homosexualität, in der er auch die Ursache für dessen Paranoia sah. Freud konnte ihm nicht helfen. In gewisser Weise gehört Daniel Paul Schreber zum ersten Kollateralschaden der Kleingartenbewegung.
    Im Laufe der Geschichte übernahmen die Schrebergärten in Deutschland unterschiedliche Aufgaben. Einst wollte man sie für gesunde Kindererziehung einsetzen; in Zeiten der Massenarbeitslosigkeit sollten sie dann die entlassenen Arbeiter beschäftigen und ernähren. Im Zweiten Weltkrieg zogen viele deutsche Familien aus ihren Stadtwohnungen in die Lauben, um zu überleben, denn Schrebergärten wurden von Alliierten nicht zerbombt.
    Heute herrscht in Europa mit wenigen Ausnahmen Waffenstillstand, und man ist auf einen Schrebergarten als Ernährungsquelle nicht mehr angewiesen. Die Arbeitslosen bekommen Stütze und dürfen schwarz etwas dazuverdienen. Kinder und Erwachsene gehen in speziell für den Breitensport eingerichtete Fitnessstudios, wo sie ihre Muckis unendlich vergrößern können. Dadurch kommt die sakrale Bedeutung der Schrebergärten, die lange im Verborgenen blieb, endlich zum Vorschein. Der Schrebergarten wird zu einem Ort, an dem der Mensch seinen Platz im ewigen Kreislauf der Natur sucht – und findet.
    Wenn ich in meinem Schrebergarten auf der Wiese zwischen Rosen und Ameisen liege, wird mir allmählich klar, dass von der Natur wahrscheinlich genau dieser Platz für mich vorgesehen war. Ja, genau hier, zwischen Rosen und Ameisen. Ich bin hier eine ungewöhnliche Erscheinung. Ich summe nicht, ich bekomme keine Blüten, ich kann nicht einmal fliegen, aber ich kann sehr gut liegen. Die Frage nach dem Sinn, wer oder was ich bin, erledigt sich dabei von allein. Ich bin eine große stationäre Hummel.
     

 
4 - Ode an eine Hummel und eine Raupe oder Schnecke
     
     
    In einem unbekannten Land
flog einmal eine Hummel gegen die Wand.
Es geschah an einem Arbeitstag,
nicht besonders früh, eher am Nachmittag.
Damals gab es unter Hummeln noch keine Arbeitslosen,
überall standen Tulpen, überall blühten Rosen.
Besagte Hummel flog durch die Gärten von Hütte zu Hütte
und sammelte Nektar in einer großen Aldi-Tüte.
Einmal flog sie über eine Hecke,
darunter im Gras saß eine Schnecke.
Genau genommen eine Raupe,
die neidisch unsere Hummel bestaunte.
O du, bleib bitte stehen,
ich möchte dich genauer ansehen,
ich glaube, ich bin verliebt,
bring mir schnell bei, wie man so fliegt!
Keine Ahnung, lass mich in Ruhe.
Die Hummel gab sich keine Mühe.
Die Raupe fand sich unsäglich blöd.
Sie wurde vor Scham ganzkörperrot.
Sie hatte ihre Gefühle offenbart –
und die Hummel antwortete knüppelhart.
Die Raupe weinte die halbe Nacht.
Sie schlief ein neben einem Hügel.
Am Morgen wachte sie als Schmetterling auf
mit supermodischen Flügeln.
Als unsere Hummel die Flügel sah,
fiel sie fast vom Himmel.
Sie konnte nicht mehr weitermalochen,
ihr Herz war mittendurch gebrochen.
Sie küssten sich und flogen zusammen weg,
niemand weiß wohin …
Amerika, Russland, China,
von Japan nach Sachalin.
Sind sie noch immer

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