Mein Leben im Schrebergarten
aber Gehen ging nicht mehr. Es war Abend geworden und hatte angefangen zu regnen. Die Kinder waren längst mit meiner Schwiegermutter nach Hause gegangen, die Frauen gingen auch, nur mein Vater und ich standen, eng aneinandergerückt wie zwei zusammengewachsene Rhododendronbüsche, mitten auf dem Hauptweg. Die Kleingärtner der benachbarten Grundstücke traten neugierig an den Zaun, sie schmunzelten hinter ihrem Stacheldraht, und einer rief sogar nach seiner Frau, sie sollte die Show nicht verpassen. Die Frau holte daraufhin ihr Hündchen aus dem Haus, auch die Haustiere haben ein Recht auf Spaß. Wir erwiderten die fremden Blicke nicht, wir hielten uns aneinander fest.
»Es ist schön, euch mal wieder in einer solchen Einigkeit zu sehen«, witzelte meine Frau.
2 - Unerträgliche Schmerzen im ganzen Körper
Wir schufteten nach Plan und bauten Gartenmöbel zusammen. Ich hatte im Haus einen Werkzeugkasten mit verrostetem Hammer und Sichel gefunden, ein Erbe des Sozialismus. Wozu brauchte man im Garten Hammer und Sichel? Vielleicht konnte ich daraus eine Kunstinstallation machen. Unsere Beziehung zu den anderen Bewohnern der »Glücklichen Hütten« entwickelte sich frei nach dem alten russischen Witz über Gartennachbarn:
Trifft eine Frau einen Mann. »Hallo!«, sagt die Frau. »Kennen Sie mich nicht mehr? Unsere Gärten liegen doch nebeneinander! Schauen Sie mal!« Sie dreht sich um und wackelt mit dem Hintern. »Ach, Sie sind es! Ich grüße Sie!«, erwidert der Mann erfreut.
Ein paar Ärsche konnte ich inzwischen von Weitem identifizieren, obwohl wir schon zwei Vollversammlungen verpasst hatten und auch nicht zur Transvestiten-Show im Vereinsgebäude gegangen waren. Die neuesten Schrebergarten-Nachrichten hatten wir bisher immer nur zufällig erfahren, aus Flugblättern. Dank ihnen wussten wir auch, dass die Führung unserer Kolonie zum Tag der Solidarität der Arbeiterklasse zu einem Subbotnik aufgerufen hatte, einem freiwilligen Arbeitseinsatz zur Säuberung der ohnehin übersauberen Allee rund um das Vereinsheim. Alle Gärtner, die sich dem freiwilligen Arbeitseinsatz entzögen, müssten fünfundzwanzig Euro an die Vereinskasse zahlen. Ich beschloss, zum Subbotnik zu gehen. Ich bin kein Freund freiwilliger Arbeitsmaßnahmen, davon hatte ich in meinen jungen Jahren in der Sowjetunion genug gehabt. Auch wären mir die fünfundzwanzig Euro nicht zu teuer gewesen. Ich wollte einfach meine Nachbarn in entspannter Atmosphäre kennenlernen – ich hatte da nämlich ein paar Fragen bezüglich der Blumen. Unser Grundstück wurde mehr und mehr von kleinen blauen Blümchen unterwandert, von denen wir nicht einmal wussten, wie sie hießen. Diese Blaublumen-Invasion machte uns Sorgen. Einmal machte eine Schülergruppe vor unserem Garten halt. Die Lehrerin erzählte der Jugend etwas über die Schönheit der Natur und den Mut der Kleingärtner, die unter der ständigen Gefahr, einen Sonnenstich zu kriegen, die karge Berliner Erde mit ihrem Schweiß düngten und manchmal auch wie verrückt mit Hammer und Sichel jonglierten. Als die Lehrerin meine Frau hinter dem Gartenzaun erblickte, fragte sie ungeniert, wie diese wunderschöne blaue Pflanzenart heiße, die wir so großzügig gepflanzt hatten. Meine Frau erklärte mit ernster Miene, es seien chinesische Maiglöckchen. Die Schüler zückten ihre Kugelschreiber und notierten sich das. Ein anderes Mal kam eine Behindertengruppe und wollte dasselbe wissen. »Das sind thailändische Liebesblumen«, sagten wir.
Bestimmt werde ich beim Subbotnik ein paar Gärtner finden, die mit der blauen Blume schon Erfahrung haben, dachte ich. Daraus wurde aber nichts. Alle Gärtner über fünfundsechzig hatte man auf der Vollversammlung vom Schuften am Wochenende befreit. Dabei stellen gerade diese alten Gärtner die absolute Mehrheit in unserer Kolonie. Zum Subbotnik erschienen nur junge Gärtner um die vierzig, alles blutige Anfänger, die sich genau wie wir erst vor Kurzem in die »Glücklichen Hütten« eingemietet hatten. Es war eine kleine, aber bunte Truppe, die sich nach einer halben Stunde meckernd zum Biertrinken auf den Bänken niederließ.<
Mein freiwilliger Einsatz war trotzdem nicht umsonst gewesen. Ich lernte etliche Neugärtner kennen, zum Beispiel Frau Krause. Ihr Grundstück befand sich am Ende der Kolonie, in einem Tal, umsäumt von Straßenbahngleisen. Im Grunde war ihr Grundstück die bepflanzte Straßenbahn-Endstation der Linie 9. Frau Krause strahlte
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