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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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Geheimnis: Wenn man schlank dirigiert und das Orchester hat durch seine Tradition einen kleinen Bauch, dann ist das gut; wenn man schlank dirigiert, und das Orchester frisst immer schon nur Körner, dann schauen bald überall die Hungerhaken heraus. Dem entgeht Boulez auch durch eine eher üppige Sängerbesetzung mit James King als Parsifal, Gwyneth Jones als Kundry und Donald McIntyre als Klingsor (Deutsche Grammophon).
    2004 und 2005 kehrte Boulez noch einmal ans Bayreuther «Parsifal»-Pult zurück, für Christoph Schlingensiefs Inszenierung, und es war, als würde sich das Verhältnis von Bühne und Graben umkehren. 1970 hatte Boulez es noch mit der alten Wieland-Wagner-Ästhetik von 1951 zu tun: der sprichwörtlichen Scheibe im leeren (Licht-)Raum, streng stilisierten Kostümen, spärlichen Requisiten. Schlingensief hingegen überhäufte die Szene geradezu mit Zivilisationsmüll und Mythengerümpel, mit toten Hasen und Voodoo-Priestern, so dass sich die Musik daneben ganz klein und schmal machte. Eine Tendenz zum (historisch) Überbordenden ist seit 2008 auch bei Stefan Herheim zu beobachten, Schlingensiefs «Parsifal»-Nachfolger auf dem Grünen Hügel: als wüssten die Regisseure zwar um die Fülle des Wagnerschen Vermächtnisses, sähen sich aber außerstande, diese zu bändigen und fruchtbar zu machen. Ich denke, wir sollten nicht zu kompliziert sein, nicht ständig die gesamte Geschichte vor und nach Wagner mitdenken und mitspielen. Wie sagt Lars von Trier? Wenn wir Wagner wollen, wollen wir Wagner.

    Neu-Bayreuther Ästhetik: Wieland Wagners «Parsifal»-Inszenierung für die Bayreuther Festspiele 1951, dritter Akt (von hinten nach vorne: George London als Amfortas, Ramón Vinay als Parsifal, Martha Mödl als Kundry, 1956)

Schluss

 
    Manchmal habe ich Albträume. Ich träume, dass die künstlerische Qualität nicht mehr stimmt. Ich träume, dass Kunst und Musik sich selbst abschaffen – weil die Qualität nicht stimmt. Weil viel zu viel Belangloses, Leeres, Oberflächliches und Gleichgültiges grassiert und geduldet wird. Und weil keiner mehr eine echte schöpferische Muße aufbringt, weder für sich selbst noch für ein so großes Werk wie das Richard Wagners. Früher war alles besser? Solche Unkenrufe habe ich lange für das Gerede frustrierter alter Leute gehalten und nicht ernst genommen. Heute erlebe ich es am eigenen Leib: Früher war vieles besser, in der Tat, auch wenn manches verklärt wird. Wie in den Alpen die Gletscher schmelzen, schmilzt in der Kunst die Qualität. Wir haben perfekt gelernt zu funktionieren; wir haben nicht gelernt, nicht zu funktionieren oder Nein zu sagen. Das verursacht mir Albträume. Wie sagte Ronald Wilford einst über Carlos Kleiber? «He doesn’t function.» Was für ein großartiges Kompliment. Wissen wir heute überhaupt noch, dass Kunst nicht dazu da ist zu funktionieren, sondern dass sie sich ereignet?
    Vielleicht ist es die Aufgabe meiner Generation, den Finger hier in die Wunde zu legen. Damit es die Jungen besser machen. Denn eigentlich wäre es so verdammt leicht. Der Künstler bestimmt den Markt, nicht der Markt den Künstler. Und warum beschäftigen wir uns denn so intensiv mit Richard Wagner, wenn wir nichts von ihm lernen? Wenn wir selbst nicht den geringsten Mut zum Widerstand aufbringen und uns bei der kleinsten Konfrontation gleich Existenzängste befallen?
    Von Wagner lernen heißt für mich aber auch und vor allem: in die Tiefe gehen. Je genauer ich seine Musikdramen kenne, desto neugieriger, mutiger und sensibler werde ich. Insofern bin ich mir ziemlich sicher, dass Wagner mich für den Rest meines musikalischen Lebens begleiten wird. Natürlich lässt sich das über jede große Kunst sagen, dass sie in der Vielfalt ihrer Lesarten und Interpretationen unerschöpflich ist. Der Wagner-Interpret aber hat es darüber hinaus mit Dimensionen und Komplexitäten zu tun, die ihn schnurstracks an die Grenze seiner Leistungsfähigkeit führen. Um diesen Kampf mit sich selbst nicht zu verlieren, muss er sich über die eigene Schulter blicken können. Er sorgt dafür, dass das Publikum außer sich gerät, und tut es selbst, er kasteit sich und genießt. Die Heroine oben auf der Bühne steht in ihren besten Momenten neben sich; und der Kapellmeister unten im Graben ringt mit seinen Kräften und entdeckt, wie viel Empfindsamkeit, Demut und Liebe in einer gewissen Entkörperlichung durch Erschöpfung liegen können.
    Und manchmal ereignet es sich dann, das

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