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Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Mein Leben mit Wagner (German Edition)

Titel: Mein Leben mit Wagner (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Thielemann
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«Parsifal» nichts für junge Dirigenten. Weil sie Maß mit Kraft verwechseln und viel zu viel wollen. Weil in dieser Musik so ein Schuss Gebrechlichkeit ist, ein letztes Sich-Sammeln, das man achten können muss.
    Was nach dem «Parsifal» noch hätte kommen können? Vielleicht tatsächlich eine Symphonie. «Einen melodischen Faden» würde Wagner spinnen wollen, notiert Cosima in Venedig, «bis er ausgesponnen», und fügt hinzu, als verstünde sich dies nicht von selbst: «nur nichts vom Drama». Auch wenn Wagner länger gelebt hätte, ans Musiktheater wäre wohl nicht mehr zu denken gewesen.
    Aufnahmen
    Das absolute Lieblingsstück von Hans Knappertsbusch waren Otto Nicolais «Lustige Weiber von Windsor» – daran muss ich immer denken, wenn ich mir die Latte seiner «Parsifal»-Mitschnitte aus Bayreuth vor Augen halte. Unfassbare elf sind es an der Zahl, von 1951 bis 1964, fast jeden Sommer. Der Elberfelder war der «Parsifal»-Dirigent Neu-Bayreuths, und das stützt meine These von der nötigen kapellmeisterlichen Reife. Knappertsbusch war 63, als er mit dem «Bühnenweihfestspiel» auf dem Grünen Hügel debütierte, und er war 76, als er zum letzten Mal darüber seinen Taktstock hob. Die Sängerbesetzungen variieren natürlich. Sicher verspricht die junge Martha Mödl gerade in den ersten Jahren ein eruptiveres Kundry-Erlebnis als Irene Dalis oder Barbro Ericson in den frühen Sechzigern, und während Wolfgang Windgassen sich in der Titelpartie bereits 1951 als der Heldentenor der Zukunft präsentiert, lassen später Hans Beirer oder Jon Vickers manche Wünsche offen. Knappertsbusch aber wird über die Jahre immer flüssiger, immer agiler – und durchaus auch schneller. Er entwickelt eine Art, die Höhepunkte der Musik herauszumeißeln und trotzdem im Tempo weiterzugehen. Nie kommt das Geschehen innerlich zum Erliegen, nie reißt der Spannungsfaden, nie wird er pastos – meisterlich! (Die elf Aufnahmen sind bei diversen Labels erschienen, die erste bei Naxos, die letzte bei Orfeo.)
    Neben Knappertsbusch tut sich zunächst nicht allzu viel. Der Mahler-Assistent Fritz Stiedry ist von 1952 bis 1956 an der New Yorker Met mit drei Mitschnitten vertreten, und ein (erstaunlich gut funktionierendes) Kuriosum ist sicher Vittorio Guis römische Studioproduktion von 1950 – in italienischer Sprache, mit Maria Callas als Kundry, Rolando Panerai als Amfortas und Boris Christoff als Gurnemanz (Opera d’Oro). Rudolf Kempe ist immer verlässlich (Covent Garden 1959, bei Testament), und Erich Leinsdorf gilt zu Recht als einer der großen Wagner-Dirigenten in der Neuen Welt, auch nach dem Krieg. 1961 taucht in der «Parsifal»-Diskographie zum ersten Mal Herbert von Karajan auf, in einem Live-Mitschnitt aus der Wiener Staatsoper, der nicht zuletzt durch so prominente Blumenmädchen wie Gundula Janowitz, Hilde Güden und Anneliese Rothenberger besticht (BMG). Ins Studio geht Karajan mit diesem Werk erst 20 Jahre später, da ist auch er bereits über 70. Die Aufnahme mit den Berliner Philharmonikern wird noch vor den Salzburger Osterfestspielen produziert (so hat Karajan es immer gehalten), im Dezember 1979 und Januar 1980. In vielem ist sie zwar deutlich langsamer als Knappertsbusch – aber nicht weniger flüssig. Im Grunde imitiert Karajan mit seiner Interpretation klanglich die Bayreuther Verhältnisse, das ist das Geniale: die Homogenität in den Streichern, das runde Blech, dieses makellose Legato. Wer wissen will, was Magie bedeutet zwischen einem Orchester und einem Dirigenten, die einander blind kennen, der höre diese Einspielung (mit Peter Hofmann als Parsifal, Kurt Moll als Gurnemanz, Dunja Vejzovic als Kundry, bei der Deutschen Grammophon).
    Einen gänzlich anderen Weg beschritt neun Jahre zuvor Pierre Boulez, wiederum in Bayreuth. Seine Tempi mögen extrem flott und französisch sein (10 Minuten 27 Sekunden für das Vorspiel, das ist fast zwei Minuten kürzer als der schnellste Knappertsbusch), der Musik aber bekommen sie unglaublich gut. Einen spannenderen, stimmigeren, konsequenteren und zugleich freieren und unbelasteteren «Parsifal» habe ich selten gehört. Und wie meisterhaft Boulez dirigiert! Ich muss gestehen, ich bin beim Hören dieser Aufnahme vom Saulus zum Paulus geworden. Es ist, als ob der alte Bayreuther Geist hier eine Sauerstoffkur erhält – viele Musiker, mit denen Boulez arbeitete, hatten wenige Jahre zuvor ja noch unter Knappertsbusch gespielt. Und das ist vielleicht das

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