Mein neues Leben als Mensch (German Edition)
Allerdings benötigt man für ein diktatorisches Regime Utensilien, die mir abgehen. Ich besitze zum Beispiel leider keine Otterfellmütze. Die ist aber zum Regieren absolut nötig, wie ich gerade erfahren habe. Und zwar aus Nordkorea.
Nicht dass mich News aus Nordkorea sonderlich interessieren, schließlich ist Nordkorea weit weg, und wir haben so etwas selber. Wir nennen es Hessen. Aber bei dieser Meldung aus dem seltsamen Schattenreich des Diktators Kim Jong-Il denkt man dann doch, dass historische Veränderung in der Luft liegt. Es ist nämlich so: Kim Jong-Il hat einen Sohn, das ist so eine pummelige Type namens Kim Jong-Un. Und Kim Jong-Un durfte vor kurzem zum ersten Mal öffentlich: Papas Otterfellmütze tragen. Kein Witz.
Diese Agenturmeldung ist hochbrisant, weil sie unter Kennern die Spekulation auf einen baldigen Machtwechsel nährt. Tatsächlich darf nämlich nur der Chef in Nordkorea eine Otterfellmütze tragen. Vaters gutes Stück stammt aus westlicher Fertigung, und vermutlich riecht es etwas streng, nach Otter eben, was seinen Sohn aber nicht stören wird, solange der Deckel chic aussieht. Andere Vertreter des Regimes tragen übrigens zumindest im Winter ähnlich aussehende Kopfbedeckungen, allerdings sind diese von minderer nordkoreanischer Plaste-Qualität, wie Regierungsvertreter nun verlautbart haben.
In Deutschland trägt kein Mächtiger eine Mütze, außer vielleicht der Ministerpräsident von Hessen, Volker Bouffier. Es sieht immer ein wenig danach aus, als trüge der eine Perücke über einem Toupet. Die Vorstellung, dass die Amtsübergabe in Hessen nach der nächsten Landtagswahl wie in Nordkorea durch Übergabe der Mütze an den Wahlsieger vollzogen wird, lässt auf baldige Neuwahlen hoffen.
Mir fehlt zum Regieren zugegebenermaßen noch mehr als nur die ulkige Kopfbedeckung. Da muss man auch ein bestimmter Typ für sein. Tatsächlich bin ich nicht einmal autoritär genug, um meine Tochter daran zu hindern, riesige Berge von Schmelzkäse im Bett zu verzehren. Daher lebe ich meine Machtphantasien nur im Geheimen aus. Manchmal tue ich zum Beispiel so, als sei ich ein Superagent. Ich schalte die Mikrowelle genau eine Sekunde vor Ablauf des Mikrowellencountdowns aus und fühle mich, als hätte ich im allerletzten Augenblick eine nordkoreanische Atombombe entschärft. Dann bringe ich meiner Frau ihr Dinkel-Hafer-Kissen. Sara schläft seit einiger Zeit auf einem Dinkel-Hafer-Kissen, weil es angeblich gut ist für ihre Schulter. Das Ding muss vor dem Schlafengehen erwärmt werden, und deshalb lege ich es für drei Minuten (na ja, eigentlich nur für zwei Minuten und neunundfünfzig Sekunden) in die Mikrowelle. Meine Frau riecht danach wie ein Brot.
Wahrscheinlich bin ich einfach kein Machtmensch und die Weltherrschaft liegt mir gar nicht, denn es ist auf Dauer unheimlich anstrengend, ständig nur gegen den Willen eines Volkes durchzuregieren. Das mussten zuletzt allerhand nordafrikanische Kleptokraten erfahren, und es macht keinen Bock. Ich werde also von meiner Willkürherrschaft erst einmal Abstand nehmen. Macht auf seine Mitmenschen kann man außerdem auch im ganz kleinen Maßstab ausüben.
Ein Beispiel dafür gab mir neulich ein fremder Mann, der neben mir im Flugzeug saß. Als die Maschine zum Halten kam, schnallte er sich ab und stellte dann den Gurt enger, indem er den Verschluss verschob. Der nächste Fluggast auf diesem Platz würde diesen in jedem Fall weiten müssen. Ich hatte so was noch nie gesehen und fragte den Mann nach dem Grund für diese Aktion. Er sagte: «Wenn sich gleich jemand da hinsetzt, wird er das Gefühl haben, zu dick für diesen Gurt zu sein.» Ich fand das gemein. Ich fragte ihn: «Und das gefällt Ihnen?» Er antwortete nicht, stand auf, nahm sein Gepäck aus der Ablage und ging. Noch im Flugzeug setzte er seine Otterfellmütze auf.
Ein Traum von einem Vater
Schul- und Jugendpsychologen weisen beständig darauf hin, dass es in der Erziehung junger Menschen vor allem darauf ankommt, ständig in Kontakt zu bleiben. Kommunikation sei alles, heißt es. Man soll also reden, reden und nochmals reden, notfalls achtzehn Jahre lang durchlabern. Habe ich versucht. Das vorläufige Ergebnis ist aber ernüchternd, denn ich rede, und meine Kinder schweigen zurück.
Die ganze Bredouille begann damit, dass wir zu Mittag aßen. Das machen viele Familien in Deutschland jeden Tag. Aber bei uns war so eine komische Stimmung. Niemand sprach, dabei hatte keiner schlechte Laune.
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