Mein perfekter Sommer
draußen. Ich bin mit dem Kopf zwischen den Händen auf den Stufen zusammengesackt. »Grady hat sich oben in meinem Zimmer eingeschlossen, er will nicht mit mir reden.«
»Oh, Gott.« Ich schniefe und versuche mir die Tränen wegzuwischen. »Ethan ist abgehauen, irgendwo da raus.« Ich nicke zu den dunklen Schatten hin, die aus den Lichtstreifen von den Fenstern ragen. »Ich wusste nicht, ob ich ihm nachlaufen sollte. Fi, wie er mich angeguckt hat …« Ich schlucke einen Schluchzer herunter. Nicht zu fassen, dass so etwas passiert – dass ich es ausgelöst habe. Er hatte mir vertraut und ich habe alles vermasselt.
»Was machen wir?« Sie guckt mich besorgt an. »Ich könnte Susie holen. Und ich glaub, die Mutter der Jungs ist hier …«
»Nein!« Ich falle ihr ins Wort, denn mir fällt wieder ein, was Ethan mir erzählt hat. »Nicht ihre Eltern. Noch nicht. Wir müssen das allein machen.«
»Aber was machen wir?«
Denk nach, Jenna.
Verzweifelt versuche ich mich wieder zusammenzureißen und atme durch. »Okay. Noch hat keiner was bemerkt, Gott sei Dank. Du ziehst jetzt los und suchst Reeve. Erzähl ihm, was vorgefallen ist, bring ihn dazu, mit Grady zu reden.«
»Aber … sollten wir das wirklich verbreiten?« Fiona zögert.
»Wir verbreiten doch nichts.« Ich bin schon aufgestanden. »Grady hört nicht auf uns. Er braucht einen … einen, der ihn zur Vernunft bringt. Ich kümmere mich um Ethan.«
»Da draußen?« Fiona guckt an mir vorbei in den Wald. Sie schaudert. »Solltest du da nicht lieber eine Taschenlampe mitnehmen oder so?«
»Keine Zeit«, sage ich. »Was, wenn wir da drinnen von einem Erwachsenen erwischt werden? Nein, ich komm schon zurecht.«
Einen Moment lang wirkt sie unschlüssig, dann wirft sie sich auf mich und umarmt mich. Ich stolpere, total verblüfft.
»Ich hab Angst«, gibt Fiona zu und klammert sich an
mich. »Du hättest Grady sehen sollen … so kenn ich ihn überhaupt nicht.«
»Mit Ethan ging mir das genauso …« Ich schlucke. »Komm, wir bringen das in Ordnung. Das müssen wir tun.«
Sie nickt und kriegt sich wieder ein. »Viel Glück da draußen.«
»Gleichfalls.« Ich bringe ein schwaches Lächeln zustande. Und dann ist sie wieder weg und langsam entferne ich mich vom Haus und gehe auf den dunklen Wald zu.
Nun ist es kühl geworden und mein dünnes Sommerkleid und die Sandalen sind nicht dafür gemacht, es mit den kratzenden Ästen und dem Gewirr von Baumwurzeln am Boden aufzunehmen. Doch ich reiße mich zusammen, finde den Anfang des Pfades an der Straße und tauche in die Dunkelheit ab. Die Bäume ragen dicht um mich herum auf, und obwohl ich den Pfad in diesem Sommer Dutzende von Malen gelaufen bin, muss ich immerzu an das letzte Mal denken, als ich hier allein im Dunkeln war. An diesem ersten Abend in Stillwater war ich gelähmt vor Angst, aber dieses Mal bleibt mir nicht anderes übrig als weiterzulaufen, mit fest um mich geschlungenen Armen den dunklen Pfad entlang zu stolpern und nicht bei jedem Geräusch zusammenzuzucken. Um mich herum rascheln Blätter und alle paar Sekunden ist ein neues Geräusch zu hören, das Rufen eines Vogels, ein geheimnisvolles Klappern oder der hohe Schrei eines Tieres. Ich schlucke und zwinge mich weiterzulaufen. Ich muss Ethan finden.
35. Kapitel
Nach einer gefühlten Ewigkeit erreiche ich den See. Hier ist es heller, der Mond spiegelt sich auf dem schwarzen Wasser, doch zu allen Seiten ragen die riesigen dunklen Wände des Tales auf.
»Ethan?«, rufe ich ängstlich. Immer noch bin ich mir nicht so sicher, ob da nicht jemand zwischen den Bäumen lauert, aber ich räuspere mich und rufe noch einmal, diesmal lauter. »Ich bin’s, Jenna.«
Keine Antwort, als ich mich allerdings weiter ins Offene vortaste, sehe ich ganz unten am Ufer eine zusammengekauerte Gestalt. Ich haste darauf zu.
»Ethan?«, rufe ich wieder, diesmal panisch. Er sitzt im See, die Beine vor sich ausgestreckt. Sanft umschwappt ihn das Wasser, es durchweicht seine Jeans und den unteren Teil seines Hemdes, doch anscheinend bemerkt er das nicht. »Was soll das?« Ich schleudere meine Sandalen von mir und wate hinaus. Eiskalt ist es und Steine schneiden mir in die Haut. »Ethan, du wirst ja klatschnass.«
Er rührt sich nicht, starrt weiter die Dunkelheit an.
»Ethan, komm wenigstens wieder ans Ufer.« Ich zittere, sanft lege ich ihm eine Hand auf die Schulter. Er dreht den Kopf ein bisschen, so, als hätte er mich eben erst bemerkt. »Komm
Weitere Kostenlose Bücher