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Mein Sanfter Zwilling

Mein Sanfter Zwilling

Titel: Mein Sanfter Zwilling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nino Haratischwili
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verstummte. Ich konnte nichts sagen, nichts – was auch hätte ich ihm erklären können? Meine Entscheidungen? Mein Weggehen, meine Rückkehr? Mark stand in der Küche und beobachtete uns aus der Entfernung. Ich kniete auf dem Boden, während mein siebenjähriger Sohn seine Arme um meinen Hals presste und laut schluchzte. Er wusste nicht, was passiert war, aber ich wusste, dass ich ihm eines Tages alles würde erklären müssen: meine Unfähigkeit, die Mutter zu sein, die er sich wünschte. Ich wusste noch nicht wie, aber ich wusste, bis dahin würde ich es herausfinden. Und dann, als er mir sagte, dass er die Mohrrüben aufgehoben hätte, begann ich zu weinen.
    Lange saß ich mit Mark an der Bartheke, die ich schon immer als so unerträglich spießig empfunden hatte, lange bevor Ivo an dem ersten Tag, als er mich besuchte, es aussprach, und schwieg. Ich hatte ihm nichts zu sagen. Meine Augen schmerzten und brannten. Ich legte mir Eiswürfel auf die Lider. Ich weiß nicht, ob er mir verzeihen kann, ich erwarte das nicht von ihm, aber mein Schmerz, Ivos Schmerz ließ ihn mir meinen Sohn wiedergeben, zumindest einen Teil von ihm, den ich würde zurückgewinnen, erobern, erkämpfen müssen, aber immerhin sah ich in seinem Gesicht, dass er mich nicht daran hindern würde.
    Tulja saß auf der Schaukel und starrte in die Ferne. Ich setzte mich zu ihr und legte meine Hand auf ihre. Zum ersten Mal erkannte ich eine weiße Strähne in ihrem rabenschwarzen Haar. Sie wirkte plötzlich so alt und zerbrechlich. Zum ersten Mal erkannte ich in ihr die alte Frau, die sie ja schon lange war. In der Ferne hörte ich das Meer. Und ohne dass ich irgendetwas sagen musste, schien sie alles zu wissen. Alles. Vielleicht war diese alte Frau mit der weißen Strähne im Haar die Einzige, die uns vergeben hatte. Uns allen.
    – Deine Mutter kommt morgen. Sag deiner Schwester, dass sie sie vom Flughafen abholen soll. Ich will nicht, dass sie alleine hierher fahren muss, sagte sie und räusperte sich. Dann rauchten wir eine Zigarette und sahen in die Ferne. Ich berührte leicht ihr Haar und ihre Stirn. Sie tat so, als würde sie es nicht wahrnehmen. Ich streichelte ihr Haar, ihre Stirn, ihre Wangen und sah sie unentwegt an. Ich sah sie an. Ich sah sie und sah den Schmerz, den ich mit ihr, durch Ivo, von nun an für immer teilen würde. Nur mit ihr. Mit ihr allein. Mit der Frau, die uns alle großgezogen hatte.
    Wir waren allein. Das hatte ich mir gewünscht. Die Familie. Die Familie, die es nie gegeben hatte. Tulja, Leni, Gesi, Frank und ich. Wir saßen am Strand und sahen auf das Meer. Irgendwann setzten wir uns in ein Boot aus dem Verleih und fuhren hinaus. Niemand sagte etwas, als ich die Urne hochhob und die Asche ins Wasser streute.
    Es war die letzte große Freiheit, die ich ihm geben konnte. Mehr konnte ich nicht tun.
    Später saßen wir alle im Garten an dem milden Juliabend und tranken den Wein, den ich aus Lados Haus mitgenommen hatte. Für Ivo.
    Wir tranken auf Ivo.
    Meine Mutter, mein Vater, meine Schwester und meine Großmutter. Ohne Aber und ohne Eigentlich. Als hätte Ivo uns alle wieder zu einer Familie vereint.
    Ich hatte nur wenig, gerade das Nötigste erzählt, und wären nicht Tuljas Augen, die mir verrieten, dass sie meine Halbwahrheit durchschaute, würde ich vielleicht auch glauben können, es handle sich um einen Verkehrsunfall. Um einen banalen, absolut absurden, sinnlosen Verkehrsunfall.
    Aber eines Tages würde ich erzählen, ich wusste es in dem Moment. Ich würde alles erzählen, alles, was Ivo hatte erzählen wollen.
    Ich werde im August zurückfliegen. Ich werde nach Tiflis fliegen. Zu Salome, zu Buba. Zu einer Familie, die ich wieder mit Aber und Eigentlich erklären werde. Ich werde die geretteten Dateien aus Ivos Laptop mitnehmen und seine Reportage zu Ende bringen. Ich werde mit Salome und Buba in dem Haus wohnen, in dem wir alle zusammen die Sommertage verbracht, gesungen, geredet, gelacht, einander verletzt haben. Ich werde dem Jungen nicht die Wahrheit sagen, dass er im selben Moment zwei Väter verloren hat. Ich werde auch Salome die halbe Wahrheit erzählen, nur, was sie wissen muss, um weiterzukommen, nicht mehr.
    Mark und ich werden uns scheiden lassen. Es ist zwar noch nicht zwischen uns ausgesprochen. Mark versucht, nachdem er sieben Jahre seines Lebens mit mir geteilt und mit mir ein Kind gezeugt und großgezogen hat, sich neutral und objektiv zu verhalten, mir nicht allzu sehr in die Quere zu

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