Mein schwacher Wille geschehe
könnte man Charms Geschichte lesen, kommt es immer mehr auf Erzählstrategien an. In diesem Sinn ist das Lob des Lasters die Aufforderung, narrative Kräfte zu mobilisieren. Es geht nicht nur um Reduktion und Beseitigung, |14| sondern auch um Darstellung. Schwitzen und Abspecken stehen einem erfinderischen Draufsatteln gegenüber.
Im Strudel des Kaufrausches, eines weiteren oft beschriebenen Lasters, hilft indes der Vorschlag zu Konsumverzicht nicht weiter. Bloße Konsumkritik, das gilt auch nach oder in der Wirtschaftskrise, hat einen blinden Fleck (siehe Kapitel
Durch den Konsum
). Vielleicht käme es aber darauf an, mit der Jungskombo Tokio Hotel zu erfahren, wie man »durch den Konsum« hindurch kommt. Konsumkritik jedenfalls ist ohne Konsumerfahrung und Konsumermüdung nicht zu haben. Der Handlung, mit der etwas wider besseres Wissen getan wird, liegt nicht zuletzt ein emphatischer Begriff von Freiheit zugrunde. Ohne die Erprobung des Falschen kann es das Richtige nicht geben.
Es gibt unweigerlich eine gesellschaftliche Dimension des Lasters. Obwohl in den letzten Jahren in nahezu allen Bereichen eine fundamentale Liberalisierung stattgefunden hat, werden an der Rückfront der erweiterten Freiräume, in denen jeder fast alles darf, doch immer wieder Grenzen gezogen, verschoben und erhöht. Es wäre völlig unzureichend, angesichts dessen nur von erlaubt und verboten zu sprechen. Postheroische Gesellschaften meiden schon aus sprachhygienischen Gründen die Bezeichnung »Verbot«. Entgegen der umgangssprachlichen Verwendung des Begriffs existiert seit 2007 denn auch kein Rauchverbot. Die Freiheit der Raucher wird keineswegs bestritten. Du wirst schon sehen, was du davon hast, lautet die Mahnung, aber: Du darfst rauchen. Vor dem Hintergrund einer umfassenden Toleranz ist der Gesetzgeber nicht um die gesellschaftliche Vermeidung eines weithin als schädlich erkannten Lasters bemüht. Das Nichtraucherschutzgesetz befasst sich mit dem Raucher vielmehr als Gefährder der anderen. Dem Laster des Rauchens gegenüber zeigt sich der Gesetzgeber eher gleichgültig, allenfalls wird es durch Maßnahmen des Gesundheitssystems weiter delegitimiert. Das ist aber eine andere Geschichte.
|15| Am Ende des Buchs wird die gesellschaftliche Dimension von Laster und Willensschwäche in den Blick genommen. Lasterprävention, die weit über Gesundheits- und Haushaltsfragen, den Körper und dessen Inszenierung hinausgeht, folgt in einer Marktgesellschaft, die längst alles dem Wettbewerb unterordnet, ökonomischen Gesetzen. Trotz des Schocks, den die Wirtschaftskrise ausgelöst hat, ist die Hegemonie wirtschaftlicher Organisationsmuster ungebrochen. In Schulen gibt es Bestrebungen, die Leistungen der Lehrer zu kategorisieren und sie entsprechend zu bezahlen. Selbst in Kindergärten hat inzwischen eine Benchmarking-Philosophie Einzug gehalten.
Beim Leben am Limit bleiben jedoch immer mehr Menschen auf der Strecke. Die Zahl der erfolglosen kleinen Familienunternehmen, die bei der Evaluierung der gewöhnlichen Lebensführung durchfallen, hat zugenommen. In einer Ökonomie der Gewinner erzeugt der permanente Zwang zur Selbstoptimierung Ausgeschlossene und Verlierer. Zum koketten Spiel mit den eigenen Schwächen mangelt es diesen meist an performativer Eleganz. Willensschwäche ist hier zugleich Indiz und Beweis dafür, dass es nicht reicht. Im Karneval der Kulturen laufen sie mehr oder weniger unmaskiert mit. Die in diesem Buch vorgenommene Neubewertung der Vorstellungen von Willensschwäche und Laster fragt hingegen nach den Ressourcen, die in Niederlagen und im Scheitern schlummern. Wenn Wille und Entschlossenheit sich dadurch auszeichnen, dass sie einen Endzustand und einen Abschluss herbeiführen, dann geht es hier um
odds
and
ends
, Verknüpfungen, Enden und Anfänge. Man könnte also mit dem Berliner Literaturwissenschaftler Joseph Vogl sagen: Jedem Anfang wohnt ein Zaudern inne.
|16| Theater der Widersprüche – eine Umfrage
»Man kann nicht den ganzen Tag sein Bestes geben.«
Kathrin Passig
Das kleine Ding steckt unschuldig in einem schwarzen Etui, und wenn man es herauszieht, leuchtet meist eine Wolken- oder Seenlandschaft auf. Wie sehr diese multifunktionalen Kommunikationsgeräte den Alltag verändern, malte der Autor und Journalist Adam Soboczynski kürzlich in einem kleinen Essay aus. Der Feierabend hat Feierabend, hieß es da. Wir haben ihn in schrille Alarmsignale oder stummes Vibrieren aufgelöst. Zu später Stunde
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