Mein schwacher Wille geschehe
dem eigenen Verhalten erwachsen, hängen, so Passig, nicht nur davon ab, wie man sich sieht und wie einen die anderen sehen. Es komme außerdem noch hinzu, wie man selbst die anderen sehe. »Das Ausmaß eines individuellen Leidens am Aufschieben hängt auch von einer Wahrnehmungsverzerrung ab, in der man davon ausgeht, dass die anderen Leute jederzeit alles im Griff haben.« Ein weiterer Aspekt seien die Anpassungsleistungen, die man von sich fordere. »Einige lässt das völlig unberührt. Mir ist es in einigen Bereichen gleichgültig, in manchen beschäftigt es mich aber schon, was andere von mir erwarten.«
Dabei waren es nicht die individuellen Befindlichkeiten, die Kathrin Passig dazu brachten, sich intensiver mit dem Thema zu befassen. »Meine Beschäftigung war eine Gegenreaktion. Ich habe mich lange mit amerikanischen Produktivitätsblogs befasst, in denen es darum geht, wie man sein Arbeitsleben, aber auch seine Freizeit, stromlinienförmiger gestalten kann, so dass mehr in den Tag passt. Dazu muss man wissen, dass diese Blogs nicht von Leuten bevölkert werden, die fest angestellt sind. Die meisten befinden sich in Startup-Unternehmen und machen das was sie tun, sehr gern. Die wollen ja mehr Stunden vom Tag haben, weil sie ihren Unternehmungen nachgehen wollen. Das wird in den Blogs unter dem Aspekt Selbstdisziplin mitbehandelt. Wie kann ich regelmäßig Sport treiben? oder Wie ernähre ich mich gesünder?« Das gehe, sagt Passig, aus einem sehr amerikanischen Geist der Selbstverbesserung hervor, der auch durch empirische Versuche unterstützt werde. »Ich sage diesen Satz zu 100 Kunden und zu 100 anderen sage ich einen anderen Satz. Danach wird verglichen, was besser ankommt. Diese konkrete Herangehensweise hat mir durchaus gefallen. Anfangs fand ich diese Weltverbesserungstechnik im Kleinen ganz spannend. Unangenehmerweise |24| werden dort aber auch Schlafverkürzungstechniken behandelt. Mit der Zeit schien mir das zu einseitig, Ich hatte das Gefühl, dass es ein Korrektiv dazu geben müsste.« Aus dieser Überlegung heraus sei dann das Buch entstanden. »Ich glaube nicht, dass der Wille zur Optimierung selbst den Schaden anrichtet. Vieles davon ist gut und richtig. Der Schaden entsteht vielmehr aus der Idee, dass man ständig sein Bestes geben und aus dem Tag das Letzte herausholen muss. Mir missfällt die protestantische Idee, man müsse sich ununterbrochen fordern. Das überfordert einen schließlich auch. Man kann nicht den ganzen Tag sein Bestes geben.«
Auch die Diversifizierung der Arbeitsverhältnisse hat einen erheblichen Anteil daran, dass wir stets an unsere Grenze getrieben werden. Als Gegenstrategie empfehlen Passig und Lobo technische Lösungen für soziale Probleme: »In dem Moment, wo ich keine festen Arbeitszeiten mehr habe und der Chef mir nicht mehr über die Schulter schaut«, sagt Kathrin Passig, »bin ich natürlich viel stärker auf die Techniken angewiesen, mich selbst zu motivieren. Ich habe es zum Beispiel eine ganze Zeit lang geschafft, zügig ins Büro zu kommen, weil ich zu Hause nicht online war. Also musste ich ins Büro, um rasch meine E-Mails zu lesen. Das sind selbstgemachte Rahmenbedingungen, die einen dazu bringen, das zu tun, was man auch vorhatte. Je mehr Optionen die neuen Arbeitsweisen bieten, desto mehr Werkzeuge muss man sich schaffen, um damit zurechtzukommen. Es ist ja nicht nur so, dass die Arbeit in die Freizeit einwandert. Am Arbeitsplatz selbst entstehen auch mehr Freiheiten und Freizeit.«
In der amerikanischen Produktivitätsliteratur werde nicht sehr sauber getrennt zwischen den Überlegungen zur Effizienzsteigerung und der Frage, wie man sich geschmeidiger in das Korsett aus Anforderungen fügen könne. Es bleiben psychische Blockaden, Naheliegendes auch tatsächlich zu tun. »Was ich bis heute nicht recht verstanden habe«, sagt Passig, »ist der psychologische |25| Widerstand gegen
outsourcing
in der eigenen Haushaltsführung, die Beschäftigung von Putzhilfen oder das Engagieren von Leuten, die einem beim Papierkram helfen. Das ist meist keine Frage des Geldes. Die Kosten kann man leicht woanders sparen. Es scheint starke Skrupel zu geben. Als ginge es dabei nicht um die Sache, sondern darum, sich selbst etwas zu beweisen. Als sei es ehrenrührig, eine ungeliebte Arbeit an andere zu übertragen.«
Dennoch war es Passig und Lobo wichtig, gerade nicht psychologisch zu argumentieren. »Wir haben uns einer psychoanalytischen Betrachtung des Themas
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