Mein schwacher Wille geschehe
weggezogen. Nach dem Versagen des ökonomischen Systems galt es, sich angesichts der existenziellen Not aller aus eigener Kraft wieder aufzurappeln. In diesem Sinn handelt
Seabuiscuit
von der Mobilisierung der Willensstärke, die zur Kernausstattung einer protestantischen Ethik im Sinne Max Webers gehört. Wenn es ums Ganze geht, so die einfache Logik, kommt es auf die Fähigkeit an, sich am Riemen zu reißen. Es geht dann viel weniger ums Siegen als ums Überstehen. Voraussetzung für die allgemeine Akzeptanz dieser Logik ist die klare Unterscheidung zwischen Tugend und Laster, also zwischen dem, was nützt und dem, was schadet. Dieses Differenzierungsvermögen gehört nach wie vor zum immer wieder neu beschworenen Pathos des einfachen Lebens. Im Moment der Entscheidung weiß sich der Mensch auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise hat auch Sidney Pollack seinen Film
Nur Pferden gibt man den Gnadenschuss
angesiedelt, der den Kampf um die Tugend jedoch als Desillusionierungsgeschichte erzählt. Jane Fonda und Michael Sarrazin begeben sich auf das Parkett eines Tanzmarathons, um die ausgelobte Prämie von 1 500 Dollar zu gewinnen. Am Ende des Wettkampfs winkt bloß noch ein verdorbener Sieg. Den meisten Teilnehmern dient als Motivation bereits die Aussicht auf kostenlose Verpflegung während des Tanzens. Einige geben trotz Erschöpfung nicht auf, darunter eine erfolglose Schauspielerin, die hofft, |197| auf diese Weise entdeckt zu werden. Moderiert wird der Tanzmarathon von Rocky, der versucht, dem Publikum den Wettbewerb als Show zu verkaufen. Der Film wurde seinerzeit als Metapher für einen gnadenlosen Konkurrenzkampf aufgefasst, der am Ende niemanden unbeschädigt davonkommen lässt. Die gesellschaftliche Realität entfacht Wettbewerbe, aus der keine Sieger hervorgehen.
Betrachtet man Pollacks Film vor dem Hintergrund gegenwärtiger Medienerfahrung, so lassen sich darin leicht die Zutaten heutiger Castingshows ausfindig machen. Über das bloße Sich-am-Riemen-reißen hinaus sind jedoch vor allem Fähigkeiten zur Selbstdarstellung gefragt. Die Castingshows spiegeln eine Situation, in der die Akteure aufgefordert sind, sich weit über die Präsentation ihrer Talente hinaus als Darsteller ihrer selbst einzubringen. Soweit hier von Beschädigungen gesprochen werden kann, haben sich die Formen existenzieller Zurichtungen auf psychische verlagert. Trotz der auffälligen Ähnlichkeiten zum Tanzmarathon, bei dem der Sieg für eine kurze Zeit die Existenzgrundlage sicherte, gilt der Kampf hier nicht mehr dem Überleben, sondern dem bloßen Vorkommen. Dazu bedarf es der Bereitschaft zur Selbstüberwindung. Sich am Riemen reißen oder sich gehen lassen: für das Erreichen des Finales ist alles erlaubt. Vordergründig werden noch einmal die Rahmenbedingungen eines sportlichen Wettbewerbs simuliert. Das beherrschende Thema ist dabei jedoch nicht die Konkurrenz, sondern die Herausforderung der eigenen psychischen Dispositionen. Die jungen Heldenanwärter werden darauf ausgerichtet, ans Limit zu gehen, auch wenn die Akteure in der Regel den Eindruck machen, als wüssten sie nicht, was sie da sollen. Ans Limit zu gehen bedeutet in diesem Zusammenhang kaum mehr als eine Lifestyleoption, die gefährlich sein kann, aber für gewöhnlich folgenlos bleibt. Dennoch erscheinen die Bühnen der Selbstinszenierung als ein Versprechen, die Pfade des mühsamen Fortkommens und |198| Sich-Kümmerns ein für allemal zu überwinden. Besonders auffällig ist dabei, dass gerade die jungen Akteure, denen man mühelos Willensschwäche attestieren würde, alles daran setzen, von Runde zu Runde dabei zu bleiben. In diesem Sinne lohnt ein Exkurs über die Castingshow als Institution zur Mobilisierung verborgener Kraftreserven.
In der allgemeinen Kritik an den Castingformaten wird meist übersehen, dass die unterschwelligen Formen der Solidarisierung eines der zentralen Themen darstellen. Geht es vordergründig um die Präsentation von Kandidaten, die alles zu tun bereit sind, was der Karriere nutzt, werden auf der Rückseite die Bindekräfte der Familie beschworen. In
Deutschland sucht den Superstar
wird denn auch ständig geheult und nach Mama und Papa gefragt. Dieses fast schon antiquiert erscheinende Modell sozialer Beziehung scheint eindeutiger als alles andere die Bandbreite des emotionalen Rüstzeugs zu repräsentieren. Im Prozess einer forcierten Individualisierung vergewissert man sich so selbst in
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