Mein Sommer nebenan (German Edition)
hoffe, dass es ihm bald wieder besser geht.« Dann läuft sie eilig zur Tür und scheint wie selbstverständlich zu erwarten, dass ich ihr trotz allem, was passiert ist, folge.
Na los , formt Jase mit den Lippen, als ich ihn erneut anschaue, und deutet mit dem Kinn zur Tür.
Ich eile hinter Mom her, die mit klackernden Sandalen auf unsere Einfahrt zuläuft, dann zögernd stehen bleibt und sich langsam zu mir umdreht.
»Mom?«
»Gott, diese Kinder …«
»Was ist mit ihnen?«
»Ich … ich konnte nicht … länger bleiben« , presst sie abgehackt hervor. Dann fragt sie hastig: »Weißt du die Nummer des Zimmers von Mr Garrett? Er liegt im Maplewood Memorial, nicht wahr?«
Einen Moment lang spielen sich vor meinem inneren Augen Horrorszenen ab. Clay, der sich ins Krankenhaus schleicht und Mr Garrett ein Kissen aufs Gesicht presst oder ihm Luft in seine Infusionskanüle spritzt. Mom, die … keine Ahnung … ich bin so verwirrt, dass ich nicht mehr weiß, wozu sie fähig wäre. Traue ich ihr tatsächlich zu, zu den Garretts zu kommen, Pizza zu essen, mit den Kindern zu reden und dann einen Mord zu begehen?
»Wozu willst du das wissen?«, frage ich.
»Ich muss ihm sagen, was wirklich passiert ist … was ich getan habe.« Sie presst die Lippen aufeinander und ihr Blick wandert zum Haus der Garretts zurück, wo das Küchenlicht als perfektes Quadrat durch die Fliegengittertür scheint.
Ich atme erleichtert auf.
»Jetzt sofort? Und du hast vor, ihm alles zu sagen?«
»Die ganze Wahrheit«, antwortet sie leise. Sie greift in ihre Tasche und zieht einen Stift und ihr kleines Notizbuch heraus. »Weißt du die Zimmernummer?«
»Er liegt auf der Intensivstation, Mom«, sage ich vorwurfsvoll. Wie kann sie das vergessen haben? »Ich glaube nicht, dass sie dich zu ihm lassen. Du gehörst nicht zur Familie.«
Sie sieht mich erschrocken an. »Ich bin deine Mutter .«
Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass sie offenbar verstanden hat, ich hätte gesagt, dass sie nicht meine Familie ist. Im ersten Moment erscheint mir das absurd, aber dann kommt mir der Gedanke, dass ein Fünkchen Wahrheit darin steckt. Im Moment gibt es nicht mehr besonders viel, das mich noch mit dieser Frau verbindet. Ich konzentriere all meine Energie ausschließlich darauf, für die Garretts da zu sein. Für meine Mutter bleibt – nach allem, was sie getan hat – keine Kraft mehr übrig.
»Nur die engsten Familienangehörigen dürfen zu ihm«, ist alles, was ich darauf antworte.
Der Ausdruck, der über das Gesicht meiner Mutter huscht, verrät, dass sie bei allem schlechten Gewissen auch erleichtert darüber ist, ihm nicht gegenübertreten zu müssen. Diese Erkenntnis versetzt mir einen Stich.
Mein Blick fällt auf den in der Einfahrt geparkten Kombi. Es gibt noch jemanden, der es mindestens ebenso verdient hat, die Wahrheit aus ihrem Mund zu hören wie Mr Garrett. »Mom?«
Sie streicht mit fahrigen Bewegungen ihren Rock glatt und sieht mich fragend an.
»Du kannst dafür mit Mrs Garrett sprechen und ihr alles erzählen«, sage ich. »Jetzt gleich. Sie ist zu Hause.«
Ihr gejagter Blick wandert zur Tür, bevor sie sich gequält abwendet, als würde sie den Anblick nicht ertragen. »Ich kann da nicht noch einmal reingehen.« Sie versucht sich loszureißen, als ich sie zur Tür ziehe. Ihre Hand ist feucht. »Nicht vor den Kindern. Das kann ich nicht.«
»Du musst.«
»Es geht nicht.«
Ich schaue nachdenklich zum Haus zurück.
Und in diesem Moment tritt Jase mit seiner Mutter zur Tür heraus. Er hat schützend den Arm um ihre Schulter gelegt und führt sie die Treppe hinunter und dann auf uns zu. »Senatorin Reed«, sagt er, als die beiden vor uns stehen. »Ich habe meiner Mutter erzählt, dass Sie ihr etwas mitzuteilen haben.«
Mom nickt und ringt sichtlich um Fassung.
Mrs Garrett ist barfuß und ihre Haare sind vom Schlafen zerzaust. Sie wirkt erschöpft, aber gefasst. Jase kann es ihr noch nicht gesagt haben.
»Ja, das stimmt. Ich … ich muss mit Ihnen sprechen«, stammelt Mom. »Unter vier Augen. Würden Sie … würde es Ihnen etwas ausmachen, mit zu mir rüberzukommen? Ich habe selbst gemachte Limonade im Haus, weil …«, sie tippt mit dem Knöchel ihres Zeigerfingers gegen ihre Oberlippe. »Nun … es ist ja sehr schwül heute Abend.«
»Sie können das, was Sie sagen wollen, genauso gut hier erledigen.« Jase will offensichtlich verhindern, dass seine Mutter Clay in die Hände gerät.
»Hier draußen?« Mrs Garrett
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