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 Mein spanisches Dorf

Mein spanisches Dorf

Titel: Mein spanisches Dorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Schwaiger
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habe ich heute wieder Grosch Sepperl getroffen, in der Linzergasse. Er hat mich wieder begleitet, aber nichts geredet. Jetzt muß ich Physik lernen. Auf «Wie kann ich im Umkreis meines Lebens Toleranz üben?» habe ich ein Sehr Gut bekommen. In Latein zweimal Fleck. In Englisch Gut.
     
     
    24. November
    Prof. Vlay ist ein Trottel. Hardtmann sowieso. Die anderen Professoren auch, außer in Musik. Heute schaute ich in den Pausen immer zum Fenster hinaus. Es schneit schon tüchtig. Und auf einmal kam ein ziemlich großer Mann auf der anderen Straßenseite daher. Wollhaube, Schal, Winterhose, Pelzschuhe. Er schaute öfters auf seine Armbanduhr. Alexander!!! Er ging aber ziemlich schnell und schaute nicht herüber. Jedenfalls: Ich habe ihn gesehen, wenn auch nur aus der Ferne. Wegen der blöden Schule habe ich nämlich Hausarrest.
     
     
    30. November
    Es tut sich einfach überhaupt nichts. Und es ereignet sich einfach nichts, obwohl man sich die größte Mühe gibt. Gestern war «Mondo Cane». Ich habe mich neben Alexander gesetzt, damit wir vielleicht mit den Ellenbogen wenigstens anstoßen. Und gleichzeitig habe ich verliebt auf Smolka Rudi geschaut und zu Giselher. Der ist nämlich wieder da. Der Film war teils gut, teils schlecht. Ich meine: erschütternd. Wenn irgendein grausames Bild gezeigt wurde, dann lachte Giselher ganz blöd. Und Smolka auch. Aber Alexander lachte nie. Das finde ich so schön an ihm. Er ist einfach vollkommen. Nach der Vorstellung ging ich sofort nach Hause, damit Alexander mich ein bißchen vermißt … vielleicht … Smolka ist ein böser Geist, das spüre ich. Er führt immer Gespräche mit Alexander, über Literatur. Und wenn ich etwas frage, lacht er nur. Einmal hat er gesagt, Mädchen sind keine vollwertigen Menschen. Das hat mir Susi erzählt. Ich glaube, er kann Alexander verderben. Wie könnte ich Alexander darauf aufmerksam machen, daß ich intelligent bin und bildungsfähig? Ich glaube, ich wäre eine ideale Partnerin für ihn, weil ich immer am meisten über seine Witze lache. Alexanders Witze sind wirklich unheimlich gut. Er macht zwar Witze über die Mädchen, besonders über Susi und mich, aber sie sind so lustig, daß man selbst lachen muß. Überhaupt lache ich immer, wenn jemand über mich einen Witz macht. Weil ich nämlich Humor habe! Aber das glauben sie nicht. Sie glauben, man ist dumm. Es ist schade, daß die Deutsch-Aufsätze, die man so im Laufe seines Lebens schreibt, nicht veröffentlicht werden. Übrigens, wenn Alexander nicht da ist und Smolka etwas über ihn erzählt, schaut er dabei oft zu mir her. Das ist Susi auch aufgefallen. Ich mag Susi jetzt wieder sehr gern. Lothar hat schon lange Zeit nicht geschrieben, und sie sagt, er ist ein Filou.
     
     
    4. Dezember
    Gestern ist etwas Schreckliches passiert. Den ganzen Tag heute habe ich darüber nachgedacht, wie es kommen konnte. Ich bin sehr, sehr schlecht. Und es gibt keine Entschuldigung, das weiß ich. Smolka holte mich zum Spazierengehen ab. Ich war entsprechend überrascht. Er brachte zuallererst eigentlich nur ein Buch. «Das Spiel ist aus» von Sartre. Es ist eigentlich ein Film. Smolka sagte, es würde mich vielleicht interessieren. Dann sagte meine Mutter, jemand muß unbedingt mit dem Hund gehen. Also habe ich ihn an die Leine genommen, und Smolka Rudi begleitete mich. Wir gingen den Sankt-Peter-Weg hinauf. Natürlich sprach er von Alexander. Er sagte, Alexander habe gesagt, wenn er sich meine Nase und meinen Mund ansähe, würde er sich in mich verlieben. Aber weil ich jedem, der mich anlächelt, gleich schöne Augen mache, könne er mich nicht ernst nehmen. Das war bei der dritten Kapelle. Wir setzten uns auf die Bank. Ich war furchtbar aufgeregt innerlich. Und ich hätte gern mehr gefragt. Da packte S. R. plötzlich meine Schultern und riß mich an sich. Er roch so merkwürdig, irgendwie nach Brot. Er preßte mein Gesicht an seins und seinen Mund auf meinen. Ich öffnete meine Lippen. S. R. nahm die Gelegenheit wahr und küßte mich. Es war ein relativ kurzer Kuß. So zwei, drei Sekunden. Was aber dann kam, war meine eigene Schuld. Seine Lippen wanderten nämlich über meinen Hals, und da ließ ich die Hundeleine fallen und gab mich hin. Ich weiß nicht, warum ich das tat. Ich liebe doch Alexander. Was ich für S. R. empfinde, ist höchstens sinnliches Interesse. Er saugte wieder an meinen Lippen und so weiter. Ich war im Kopf ganz leer. Sonst hätte ich ihn früher weggestoßen. Aber als er seine

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